Glosse 115: Der Peacebeauftragte

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Anlässlich des rotarischen Schwerpunktmonats «Friedensförderung und Konfliktprävention» meinte Präsident Bräker in einer Vorstandssitzung: «Wenn jemand das nötig hat, dann ist es der RC Redliwil.» Rotarier Schneebeli schlug vor: «Ernennen wir doch einen Peacebeauftragten, ich wüsste auch schon, wen.»

Das war Weihbischof Albrecht, ein Rotarier mit europaweitem Ansehen, ein warmherziger Mensch, ein grosser Versöhner. Clubsekretär Tgetgel war skeptisch. «Bei uns wird das schwierig. Es gibt ja den normalen Streithahn, den fortgeschrittenen Streithahn und den rotarischen Streithahn. Letzterer erreicht ein ungeahntes Niveau. Er ist juristisch vorgebildet, intelligent, rhetorisch begabt und mit einem überquellenden Ego versehen.»

Albrecht nahm dennoch den Auftrag gerne an und erstellte eine Streithahn-Liste, die ziemlich umfangreich ausfiel. Die betreffenden Freunde lud er zu einem ökumenischen Gottesdienst in den Redliwiler Dom, danach folgte ein inniges Treffen im Stuhlkreis, besonders schwere Fälle erhielten ein Anti-Aggressions-Training.

Eine zweite Liste des Peacebeauftragten enthielt die aktuellen Knackpunkte, die den Club bewegten. Zum einen ging es darum, wer bei der nächsten Wilhelm Tell-Feier den Tell spielen durfte. Hier lagen die Freunde Wüthrich und Maerki im heftigen Streit. Die Rotarier Medici und Grossenbacher dagegen, die dem Komitee zur Modernisierung des Clubwimpels angehörten, hatten sich wegen der Farben rettungslos entzweit. Medici war für einen Wimpel in Blau, Rot und Gelb, Grossenbacher kämpfte für Blau, Rot und Türkis.

Albrecht fand dafür salomonische Lösungen. Gemäss seinem Vorschlag sollte Wüthrich den nächsten Tell stellen, an seiner Seite würde Maerki als Assistant Tell auftreten. Ein Jahr später sollten sie die Funktionen wechseln. Und für den Clubwimpel schrieb Albrecht die Farben Blau, Rot, Gelb und Türkis vor.

Alle waren glücklich. Der Peacebeauftragte setzte ein Protokoll auf, das alle unterzeichnen sollten. Doch der Friedensschluss platzte. Wüthrich, Maerki, Medici und Grossenbacher zerstritten sich über die Frage, wer als erster unterzeichnen durfte.

Dem friedfertigen Albrecht platzte der Kragen. Vor seinem Rückzug in ein Kloster erklärte er Präsident Bräker: «Was dieser Club braucht, ist eine UN-Friedenstruppe, aber mit robustem Mandat, inklusive eines Leopard 2.»

Glosse 114: Der Praktikant

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

«Bald habe ich ihn so weit», sagte Präsident Bräker zu Clubsekretär Tgetgel in einer Vorstandssitzung. Es ging um den Kandidaten Obertüfer, einen jungen, dynamischen, erfolgreichen Chef einer Zahnklinik, der Interesse an einer Mitgliedschaft im RC Redliwil bekundet hatte. Der ganze Club war freudig erregt, denn frisches Blut von aussen wurde im RC Redliwil dringend benötigt.

Doch beim finalen Einstellungsgespräch zeigte sich Obertüfer überraschend spröde. «Ich bin ja interessiert, lieber Herr Bräker», sagte er. «Aber ich habe so Einiges gehört, was man sich rund um den Redliwiler See so erzählt.»

«So, was denn?»

«Ich habe gehört, dass neue Mitglieder in Ihrem Club eine harte Lehrzeit durchlaufen, so eine Art Praktikum. Dass sie niedere Dienste verrichten müssen, wie dem Präsidenten den Wagen waschen oder dessen Ehefrau in den Beauty-Salon fahren. Also, irgendwie befremdet mich das.»

Bräker war entsetzt. «Wo denken Sie hin, lieber Herr Obertüfer. Ganz im Gegenteil – wir sind bemüht, unseren neuen Freundinnen und Freunden den Start ins Clubleben so angenehm wie möglich zu gestalten.»

Dem war in der Tat so. Seit einem Jahr lief das spezielle Welcome-Wellness-Programm des RC Redliwil für neue Mitglieder. Beim Meeting in der Heidistube erwarteten sie gepolsterte Sessel mit Massagefunktion. Ihr Apéro war stets doppelt so gross wie der normale Drink. Ein Shuttle-Service holte sie zum Meeting ab und brachte sie wieder nachhause. Bei Clubreisen mit dem Bus durften sie stets in die Business Class. Jeder Neue hatte einen rotarischen Personal Assistant, der rund um die Uhr verfügbar war und sei es zum Brötchenholen oder eben Wagenwaschen. Alle vier Wochen wurden die Neuen zur Qualität des Clubservice befragt und durften auf einer Skala von 1 bis 10 ihr Votum abgeben. Bislang hatte der RC Redliwil jedes Mal die Bestnote erreicht.   

Bräker präsentierte Obertüfer einen Prospekt mit dem kompletten Leistungspaket. «Das sieht schon besser aus!» Obertüfer war beeindruckt und vier Wochen später heftete ihm Bräker die Nadel ans Revers.

Zuhause erzählte Bräker der Gattin von den bösen Gerüchten über die niederen Dienste der Neulinge und wie sich dann alles zum Guten gewendet hatte. Die Gattin wiegte den Kopf: «Nun ja, das mit dem Beauty Salon ist doch gar keine so schlechte Idee.»

Glosse 113: Die Notgans

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Pünktlich zu St. Martin lud der RC Redliwil zum traditionellen Gänseessen, das gehörte zu den Genen des Clubs. Doch in diesem Jahr herrschte im Vorfeld plötzlich Unruhe. «Die wollen sie uns wegnehmen!», warnte Clubsekretär Tgetgel Präsident Bräker.

«Wer will wem was wegnehmen?»

«Die Vegetarier und Veganer rütteln an unserer Gans. Denken Sie nur an den Vortrag von Rotarier Schneebeli vor einer Woche», knurrte Tgetgel.

Schneebeli, seines Zeichens Internist, hatte kenntnisreich über die Mortalitätsrate infolge Herzkranzverfettung gesprochen und in seiner Powerpoint-Präsentation eine Gans in Form eines dickbäuchigen Todesengels präsentiert.

Rotarier Schmidhauser holte für die Gansfraktion zum Gegenschlag aus. Er würdigte im Folgevortrag die Gans als Lieferant des höchst wichtigen Mineralstoffs Magnesium, dazu den Gehalt an Eisen, Vitamin A und einigen Vitaminen der B-Gruppe. In einem Video zeigte er zudem glückliche Gänse auf dem Musterhof eines freilaufenden Biobauern, die freudig St. Martin entgegenfieberten.

Bald drohte das Gansthema den Club zu entzweien. Präsident Bräker fragte den Küchenchef der Heidistube, ob er auch eine fettfreie Gans im Angebot habe. «Wir hatten mal eine Tofu-Gans», erwiderte der Koch, «die lief aber nicht so gut.»

Die Diskussion im Club eskalierte, doch Bräker zeigte sich diplomatisch: «Wir setzen auf Vielfalt, auf Toleranz und eine lebendige Diskussionskultur.»

Ein Gansausschuss wurde installiert, der nach langen Beratungen den Koch um eine Zubereitung in vier Varianten bat:

Gans klassisch

Gans aus Magerhaltung

Gans vegan

Gans digital, optisch geniessbar auf dem Smartphone.

Der Küchenchef schlug die Hände über dem Kopf zusammen und kündigte einen Tag vor dem Gans-Event fristlos, unter Mitnahme der bereits bestellten Gänse. Der Wirt der Heidistube wühlte verzweifelt in seinen Vorräten und servierte den Freundinnen und Freunden eine Notgans. Sie bestand aus einem Süppchen mit dem übriggebliebenen Sossenfond der Vorjahresgänse, dazu ein paar versteinerte Maronis. Frisch war immerhin das Rotkraut. Dazu sang der eilends engagierte Tenor der Redliwiler Oper das Volkslied «Fuchs, du hast die Gans gestohlen.»

Der Präsident rühmte die Notgans als «kreativ-kulinarische Überraschung nebst Kulturkomponente», doch Tgetgel widersprach: «ich will keine lebendige Diskussionskultur und auch keinen Tenor, im nächsten Jahr will ich wieder eine Gans, dick, fett und knusprig.»

Glosse 112: Der warme Händedruck

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Der RC Redliwil freute sich stets über externe Referenten. Dabei gehörte es zum guten Ton, die Gäste mit einem ansprechenden Gastgeschenk zu belohnen. Lange Jahre war das eine Flasche des köstlichen Ricola-Kräuterschnapses, doch nun war ein Wechsel fällig. Mit welchem Präsent wollte man in guter Erinnerung bleiben? Dazu entbrannte eine heftige Debatte im Vorstand. Kassier Armin Geldmacher hatte die Clubfinanzen im Auge, als er meinte: «Wir sollten auch eine Economy-Variante des Gastgeschenks einplanen.»

«Und die wäre?», fragte Präsident Bräker.

«Ein warmer Händedruck des Präsidenten. Verzicht ist angesagt in diesen harten Zeiten.»

«Nun ja», sagte Bräker zögernd und bat um weitere Vorschläge.

Rotarier Grossenbacher war mit einem Musterkoffer erschienen, dem er farbige Topflappen und Tischsets mit dem Rotary-Rad entnahm. «Hat meine Frau gehäkelt, alles Handarbeit.»

Bräker fand die Topflappen etwas spiessig, doch er wollte es sich mit Grossenbacher, dem potentesten Spender des Clubs, nicht verderben. «Sehr schön, sehr individuell!», lobte er. Besser gefiel ihm, was Rotarier Danuser vorstellte – ein Vogelhäuschen aus edlem Holz aus dem Engadin, ebenfalls handgemacht. Und passgenau modelliert für die Aufnahme einer Flasche Wein. Er lobte erneut: «Sehr authentisch und aus einem nachwachsenden Rohstoff. Dazu eine Hilfe für unsere bedrohte Vogelwelt.»

Schliesslich kam man überein, die Gastgeschenke je nach Qualität des Vortrags zu verteilen. Der Clubvorstand einigte sich auf folgendes Muster:

Exzellenter Vortrag: Vogelhäuschen inklusive eines guten Rotweins.

Guter Vortrag: Vogelhäuschen inklusive Vogelfutter.

So lala – Vortrag: ein Satz Topflappen.

Vortrag zum Gähnen: Warmer Händedruck des Präsidenten.

Was keiner wusste: Danusers Vogelhäuschen fanden nach und nach in der gesamten rotarischen Welt reissenden Absatz und Danuser freute sich über die Aufbesserung seiner Rente.

Es nahte der Tag, dem der RC Redliwil entgegenfieberte. Starredner John Battermann hatte sich angesagt. Das Vogelhäuschen mit Rotwein war programmiert. Battermann war Dauergast in allen Talk Shows und den Boulevardzeitungen, er war der Experte für alles: vom Ukrainekrieg bis hin zur richtigen Zubereitung eines Raclette, von der endgültigen Strategie gegen Covid bis hin zur finalen Aufstellung der Schweizer WM-Elf.

Kurz vor seinem Auftritt rief John Battermann bei Bräker an. «Lieber Herr Präsident, ich komme ja sehr gerne zu Ihnen. Aber eine Bitte hätte ich.»

«Wie kann ich helfen? »

«Ich war schon bei 145 Rotary Clubs zu Gast. Mittlerweile stehen 16 Vogelhäuschen in meinem Garten, die Vögel sind schon ganz erschrocken, weil sie eine Falle wittern. Und meine Gattin spricht nicht mehr mit mir, seitdem ich ein Dutzend weitere Vogelhäuschen im Bad und im Schlafzimmer unterbrachte.» Battermann seufzte: «Ich bitte sehr herzlich – keine Vogelhäuschen mehr. Mir reicht nach dem Vortrag ein warmer Händedruck.»

Glosse 111: Das Old Boys Network

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Rotarier Lüthi sass mit der Gattin auf dem heimischen Sofa und meinte versonnen: «Seit heute bin ich zehn Jahre beim RC Redliwil, nun gehöre ich wohl richtig dazu.»

Wenn er sich da mal nicht irrte. Beim nächsten Meeting in der Heidistube klopfte ihm Ehrenpräsident Friedrich leutselig auf die Schulter: «Junger Freund, haben Sie sich schon ein bisschen eingelebt bei uns?»

«Ich bin seit einem Jahrzehnt dabei und außerdem schon 40», erwiderte Lüthi.

Friedrich winkte ab. «Zehn Jahre – das ist so gut wie nichts, das ist gerade mal ein Lidschlag für uns.»

Friedrich gehörte zum sagenumwobenen OBN, dem Old Boys Network des Clubs. Das Netzwerk war eine Art Schattenreich und durchaus mächtig. Die Old Boys hielten die Tradition hoch, bei drohenden Veränderungen erlitten sie regelmässig einen kollektiven allergischen Anfall. Danach entwickelten sie professionelles Geschick darin, betreffenden Projekten den Garaus zu machen.

Tragende Pfeiler des Netzwerks waren Kassierer Schnurrenberger, der Herr des Geldes, und Clubsekretär Tgetgel, der Herr der Wochenbulletins. Beide übten ihre Ämter seit über 30 Jahren aus und dies völlig unangefochten. Der Rest des Clubs war heilfroh, dass jemand diese Arbeit machte. Und so konnte Schnurrenberger fröhlich verkünden: «Mir ist es egal, wer unter mir Präsident ist.»

In diese Gemengelage hinein platzierte Lüthi unter dem Titel «Aufbruch» ein Thesenpapier zur Zukunft des RC Redliwil. Die Thesen waren hochherzig und anspruchsvoll, es ging um neue Formen der Meetings, um mehr Präsenz in der Gesellschaft, um die Aktivierung der Rotarierinnen und Rotarier und vieles mehr.

Zu Lüthis Überraschung zeigte sich Kassierer Schnurrenberger höchst erfreut über das Reformpapier. «Das ist ein grossartiges Papier», erklärte er Lüthi und fuhr fort: «Angesichts des komplexen Themas sollten wir eine Grundsatzkommission bilden, die sich damit befasst.»

«Und dann?», fragte Lüthi.

«Dann wird sie einen Zwischenbericht vorlegen. Schätze, so um 2040 herum.»

Zuhause klagte Lüthi gegenüber der Gattin: «Die Old Boys machen aus meinem Aufbruch einen Abbruch.» Doch er wusste sich zu wehren. Tags darauf erzählte er einem anderen Rotarier unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit, dass sich ein YBN, das Young Boys Network, gebildet habe. Es werde den Old Boys die Stirn bieten. Das war frei erfunden, aber wie erwartet wusste 24 Stunden später der gesamte RC Redliwil davon.

Die Old Boys erfasste Panik. Sekretär Tgetgel lud Lüthi zur Taufe seines neunten Enkels ein, Kassierer Schnurrenberger gar zu seinem exklusiven, herbstlichen Golfturnier im Engadin, das bislang den Premiumrotariern vorbehalten war. Am zehnten Loch nahm Schnurrenberger den Young Boy zur Seite und meinte: «Jung und Alt müssen zusammenhalten. Ich denke, der Zwischenbericht zu Ihrem Papier könnte schon 2035 fertig sein.»

Glosse 110: Die Gartenparty

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Als Präsident Bräker zu einer sommerlichen Gartenparty auf dem heimischen Rasen einlud, kam überall im RC Redliwil die Frage auf, wie man sich passend anziehen sollte. Bräker selbst wollte vor allem die Jungrotarier einbinden und wählte in einem Anfall von Jugendwahn ein Outfit, bei dem er sich an seinem Sohn orientierte.

Neben Jeans mit kunstvollen Löchern rund um das Knie und einem T-Shirt mit dem Aufdruck «Born to be wild» besorgte er sich lila Sneakers, deren Bändel er offen aus dem Schuh heraushängen liess. Wie man das möglichst professionell machte, zeigte ihm der Sohn in einem Schnellkurs.

Jungrotarier Baumann hingegen ging einen anderen Weg. Er war hinsichtlich des Dresscodes noch etwas unsicher und beriet sich mit der Freundin. Die war gesellschaftlich sehr ambitioniert und forderte: «Wenn der Präsident zum Sommerfest einlädt, kommt nur ein weisser Smoking infrage.» Baumann lieh sich einen Smoking und war überrascht, wie bequem der sich tragen liess.

An der Bräkerschen Haustür kam es zu einem Clash der Kulturen, Born to be wild traf auf weissen Smoking. Baumann kriegte grosse Augen, seine Freundin bekam einen Schluckauf. Und Bräker klagte gegenüber der Gattin halblaut: «Irgendwie komme ich bei den Jungrotariern nicht so recht an.»

Immerhin entwickelte sich die Gartenparty doch recht erfreulich. Viele Rotarier und Rotarierinnen waren erschienen, in sehr individueller Aufmachung – in kurzen und in langen Hosen, mit oder ohne Jackett, im Wickelrock oder Cocktailkleid. Auch Jean Maissen, der Stilpapst des Clubs, gab sich die Ehre. Er kam im klassischen Tropenchic, lässiger weisser Leinenanzug, ohne Krawatte, aber mit Einstecktuch, die päpstlichen Füsse steckten in handrahmengenähten englischen Schuhen. Er musterte das T-Shirt und die Sneakers des Präsidenten und murmelte zu seiner Gemahlin: «Wenigstens ist keiner barfuss hier. Aber unser Präsident ist eindeutig auf dem Weg in die Verwahrlosung.»

Bräker selbst schritt unsicher über seinen Rasen, machte die Honneurs, hielt eine nette Begrüssungsrede und stolperte immer mal wieder über seine losen Schuhbändel. Als die Gartenparty vorbei war, meinte er erschöpft zur Ehefrau: «Heutzutage weiss man wirklich nicht mehr, was man anziehen soll.»

Die nickte: «Zum nächsten Sommerfest schlagen wir einen klaren Dresscode vor.»

«Und der wäre?»

«Kleidung beliebig, aber erwünscht.»

Glosse 109: Besuch aus Tallawichita

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Rotarier Baumann war neu im Club und erfuhr per Zufall, wie sich das alteingesessene Mitglied Zysset eine Auswärtspräsenz in New York gutschreiben liess. «Was ist das?», fragte er Präsident Bräker. Der informierte den Neuen gerne: «Zysset hat einen dortigen Rotary-Club besucht.»

«Darf man das so einfach, kostet das Eintritt, was sagen die in New York dazu?», fasste Baumann nach.

«Das darf man, das soll man sogar. Es kostet nichts, die Rotarier rund um den Globus freuen sich über einen Besuch, das steht für unsere internationale Verbundenheit. Gerade wir Schweizer sind doch stolz auf unsere Weltoffenheit», entgegnete der Präsident.

Baumann befasste sich mit dem Thema näher und sah, dass der weltläufige Zysset eher die Ausnahme war. Bei den meisten im RC Redliwil reichte die globale Verbundenheit nur bis zur Kantonsgrenze, sie waren noch nie in einem anderen Club zu Gast gewesen. Sie blieben lieber im heimischen Biotop. Rotarier Gafner sprach für viele: «Warum in die Ferne schweifen, wir haben es bei uns doch so gemütlich. Hier haben wir die schöne Redliwiler Spitze vor der Haustür und den Röstigraben, in dem es sich gut wandern lässt.»

Da traf es sich gut, dass Jungrotarier Baumann eines Tages beruflich in die USA musste und ein Meeting des Rotary Clubs Tallawichita/Kansas besuchte. Er wurde begeistert empfangen und verköstigt, er durfte sogar kurz über seinen Heimatclub berichten.

«Ein tolles Meeting», erzählte er nach der Rückkehr seinem Präsidenten.

«Wie viele waren da?»

«So an die 500.»

«Tja, bei uns verliere ich mich manchmal mit nur acht Rotariern in der Heidistube. Aber 500 sind irgendwie auch zum Fürchten. Wie viele Mitglieder hat denn der Club?»

«2517, hat man mir gesagt.»

«Da haben die wohl jeden zwischen Ost- und Westküste, der laufen kann, aufgenommen. Haben die Freunde sonst noch etwas gesagt?»

Baumann nickte: «Sie wollen uns bald besuchen.»

«Prima, freue mich.»

Einige Monate später wollte Bräker zum Meeting in den Gasthof Wohlfahrt, doch sein Wagen blieb schon an der Stadtgrenze im Stau stecken. Vor sich sah er Menschenmassen, die sich Richtung Gasthof wälzten, sie trugen Girlanden um den Hals und liessen Luftballons steigen, an einer Kreuzung tanzten Go Go-Girls zu den Klängen einer Brassband.

In der brodelnden Menge erkannte Bräker seinen Jungrotarier Baumann. Der rief ihm zu: «Die Freunde vom RC Tallawichita sind da. Während eines Europatrips haben sie spontan beschlossen, uns zu besuchen.»

«O Gott, alle 2517?»

«Nein, es sind 3322, der Club expandiert ja ständig.»

Baumann war es schliesslich, der das Chaos bändigte und auf dem Redliwiler Marktplatz ein halbwegs funktionierendes Freiluft-Meeting improvisierte. Bräker durfte sogar ein präsidiales Grusswort loslassen.

Eine Woche später sah Redliwil immer noch aus wie nach einem Tsunami, als Bräker zum regulären Meeting stapfte. In der Heidistube erwarteten ihn acht Mitglieder. Und Bräker seufzte: «Also, ein Hauch RC Tallawichita täte uns auch gut.»

Glosse 108: Zürcher Verhältnisse

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Präsident Georges Bräker atmete durch. Nach grossen Mühen war es ihm endlich gelungen, den Vorstand für das neue rotarische Jahr komplett zu besetzen. «Einige Mitglieder musste ich zum Jagen tragen, ehe sie sich engagierten», seufzte er im Meeting.

«Wir brauchen im Club Zürcher Verhältnisse», meinte dazu Moritz Hürlimann, ein Rotarier alter Schule, dessen Klagen über den allgemeinen Niedergang bei Rotary gefürchtet waren.

«Wie bitte?»

«Ich las kürzlich einen Bericht darüber, wie es in den 1920er Jahren beim RC Zürich zuging. Ein sehr nobler Club übrigens, eine Zierde unserer Gemeinschaft», erwiderte Hürlimann. Bräker vertiefte sich in die Abhandlung, die auf historischen Wochenberichten basierte und war sehr angetan. So bewarben sich in Zürich zeitweise zwei Drittel aller Mitglieder um einen Sitz im Vorstand – die mit den meisten Stimmen erhielten dann die begehrten Ämter. Streng waren die Präsenzregeln. Wer ein Meeting versäumte, musste sich schriftlich unter Angaben der Gründe entschuldigen. Wer unentschuldigt fernblieb, wurde namentlich im Wochenbrief genannt.

Bräker ernannte Hürlimann zum «Zürich-Beauftragten» mit der Vollmacht, ein paar der alten Gepflogenheiten wieder einzuführen: «Fege mal im RC Redliwil so richtig durch.» Hürlimann fegte, die Präsenzen stiegen fulminant.

Angesichts dieser erfreulichen Entwicklung machte sich Bräker entspannt auf zu seinen Sommerferien am Lago Maggiore. Kaum sass er vor seinem Apéro auf der Uferpromenade in Ascona, als sein Smartphone summte.

«Wo bist Du?», bellte Hürlimann ins Telefon.

«In Ascona, in den wohlverdienten Ferien, lieber Moritz. »

«So geht das aber nicht, Herr Präsident!», monierte Hürlimann.

«Was geht nicht?»

«Dass Du einfach so in die Ferien fährst und dann verstummst. Du hast offenbar das Dokument aus Zürich nicht komplett gelesen. In der guten, alten Zeit waren Vorstandsmitglieder strikt gehalten, auch im Urlaub Verbindung mit dem Club zu halten. Lese bitte mal nach, wie damals der Clubsekretär einen Präsidenten in den Senkel stellte – der hatte eine Woche lang aus seinem Ferienort St. Moritz nichts von sich hören lassen.»

Bräker erschrak, gelobte Besserung und meldete sich fortan täglich nach dem Morgenessen bei Hürlimann ab, abends folgte ein ausführlicher Rapport über seine Ausflüge rund um den Lago Maggiore.

Nach der Rückkehr studierte er erneut den Bericht aus Zürich. Ein wirklich bemerkenswerter Club, der früh auch weibliche Referenten einlud. Einmal jedoch war das nicht von Erfolg gekrönt, denn das Bulletin des RC Zürich verzeichnete: «Heute hätte Greta Garbo über ihren Beruf sprechen sollen. Sie ist aber nicht erschienen.»

Clubsekretär Hans Tgetgel meinte erleichtert: «Wenigstens in dieser Hinsicht sind wir auf Augenhöhe mit dem RC Zürich. Wir hatten mal Beatrice Egli eingeladen. Die erschien auch nicht.»

Glosse 107: Der rotarische Adel

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Neuerdings erfreute sich die private Ahnenforschung im RC Redliwil wachsender Beliebtheit, zumal die genealogische Recherche dank des Internet immer leichter wurde. Bei den Familien-Stammbäumen entspann sich ein regelrechter Wettbewerb, wobei Rotarier Friedrich von Planta im Vorteil war. Er konnte seine Vorfahren bis zur Zeit der Kreuzzüge zurückverfolgen, was ihm mächtig Prestige verschaffte.

Das missfiel Rotarier Max Sprüngli, einem überzeugten Demokraten. Also hielt er einen Vortrag über den vierten Kreuzzug, dessen Tiefpunkt 1204 die Plünderung von Konstantinopel durch die christlichen Ritter war. Von Planta beteuerte, sein Vorfahr sei 1204 wegen eines Burnout-Syndroms auf der heimischen Burg geblieben und habe sich dem Minnesang gewidmet. Doch der Nimbus war dahin.

Um die Atmosphäre zu entspannen, schlug Präsident Bräker vor: «Konzentrieren wir uns doch auf den rotarischen Adel. Wer von uns kann auf eine familiäre rotarische Tradition zurückblicken?»

Da gab es einige, die schon in der zweiten Generation Rotarier waren. An die Spitze des rotarischen Adels setzte sich aber Hans Tgetgel, dessen Vater und auch der Grossvater bei Rotary gewesen waren. Stolz berichtete Tgetgel: «Schon an meinem zehnten Geburtstag hat mich mein Grossvater darauf eingeschworen, dereinst das Amt des Kassiers zu übernehmen – sonst mache und könne das ja keiner im Club.»

Da man schon bei den Stammbäumen war, wurde eine Historische Kommission unter Leitung von Sprüngli gegründet, die die Geschichte des RC Redliwil aufbereiten sollte. So glanzvoll sie war – im Vergleich zum RC Zürich, der als erster Schweizer Club 1924 gegründet wurde, war der RC Redliwil leider etwas jüngeren Datums.

Das schmerzte Rotarier Sprüngli. Doch Bräker warf ein: «Ein Jahr im RC Redliwil zählt eigentlich so viel wie fünf Jahre in einem normalen Club. Als Präsident weiss ich, wovon ich rede.»

Das gefiel Sprüngli schon besser. Im Vorwort zur neuen Clubchronik schrieb er, «ideell gesehen ist der RC Redliwil der älteste Rotary-Club der Schweiz, wenn nicht Europas.»

«Ist das nicht etwas gewagt?», fragte Bräker.

Sprüngli blieb unbeirrt: «Nein, das ist eine Art höhere historische Wahrheit.»

Glosse 106: Das Lastenträgervelo

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

«In meiner aktiven Zeit kamen die meisten Freunde noch mit Chauffeur zum Meeting», erinnerte sich eines Tages Ehrenpräsident Ernst Friedrich wehmütig in kleiner Runde. Doch diese glanzvolle Zeit des rotarischen Vorfahrens war Geschichte. Auch im RC Redliwil wehte neuerdings ein anderer Wind. Im Zeichen der Klimakrise wurde im Club immer kritischer beäugt, wer mit welchem Verkehrsmittel zum Meeting fuhr.

Rotarier Fritz Abderhalten hatte schweren Herzens Abschied von seinem Porsche 911 genommen. Früher hatte er den Boliden gerne als sehr praktisch gerühmt: «In den Neunhundertelfer passen eine schöne Frau und zwei Kreditkarten. Reicht völlig.» Nun mussten die schönen Frauen und die Kreditkarten in einem elektrischen Fiat 500 unterkommen. Georges McGander, der früher mit dem Hummer-Jeep (30 Liter auf 100 Kilometer) herandonnerte, erschien nun per Pferd aus dem eigenen Gestüt.

Die Durchschnittsrotarier behalfen sich mit dem Bus, denn die Redliwiler U-Bahn befand sich noch im Planungsstadium. Andere nutzten Fahrräder, vom schlichten Hollandrad bis zum Edeltreter mit 33 Gängen.

Rotarierin Louise Meier kam mit einem E-Bike, allerdings einer Sonderedition, gestylt von einem Pariser Designer, denn ein wenig Distinktion musste schon sein. Sie staunte nicht schlecht, als eines Tages der betagte Ehrenpräsident ebenfalls auf einem E-Bike an ihr vorbeirauschte, allerdings mit Stützrädern.

Besonders motiviert wurden die Mitglieder durch einen von Präsident Bräker ausgelobten Wettbewerb. Wer den kleinsten CO2-Fussabdruck auf dem Weg zum Meeting hinterliess, sollte mit einem doppelten Paul Harris Fellow und einer Würdigung in den lokalen Medien Presse ausgezeichnet werden.

Begründete Hoffnung auf den Preis machte sich eine vierköpfige Gruppe von Jungrotariern. Sie kamen gemeinsam in einem Lastenträgervelo vom Typ «Long John». Der Kräftigste lenkte und trat in die Pedale, die drei anderen kauerten in der Lastenbox. Der «Long John» galt als heisser Favorit für den ersten Preis.

Den aber holte sich Rotarier Armin Fahrni. Seinen AMG Mercedes (700 PS, Formel I-Bremsen) hatte er seinem Fitnesstrainer verkauft und sich eine Wohnung im Stockwerk über dem Gasthof Wohlfahrt gemietet. Und so öffnete Fahrni jeden Mittwoch um 11.59 Uhr seine Tür, schritt eine Treppe herunter und war ebenso entspannt wie pünktlich um zwölf Uhr zum Meeting in der Heidilandstube. Das Ganze verlief ziemlich CO2-frei, abgesehen von den 40 Millilitern CO2, die pro Liter Fahrni-Atemluft in die Atmosphäre gelangten.