88. Der Rohdiamant

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Eine Werbeaktion des RC Redliwil führte zu einem unerwarteten Zustrom neuer Mitglieder. Zu ihnen gehörte auch Herr John Battermann, ein äußerst erfolgreicher Jungunternehmer. Leider waren seine Umgangsformen noch etwas rudimentär, wie ältere Freunde befanden. Nachdem das neue Mitglied wieder mal ins Fettnäpfchen getreten war, seufzte Rotarier Dietrich von Wattenwyl: „Wo sind nur seine Manieren? Meine Erziehung hat Tausende gekostet.“

Dietrich stammte aus einem uralten Adelsgeschlecht und war für den „guten Ton“ im Club verantwortlich. Er sah sich beim nächsten Meeting bestätigt, als John Battermann in einem Monsterjeep kam, mit breiten Schlappen, Vierfach-Auspuff und den dumpfen Bässen des Autoradios, die schon von weitem die Fenster der Heidistuben zum Erzittern brachten. Während des Meetings ließ er dann stolz eine Kopie seines jüngsten Steuerausweises rundum gehen.

Kassier Armin Geldmacher murrte: „So ist das eben, wenn man aus Redliwil-Ost kommt, wo die Polizei nur zu viert unterwegs ist, wenn überhaupt.“

Präsident Georges Bräker widersprach: “Bitte keinen Hochmut. Wir wollen uns bei Rotary doch verjüngen. Wir wollen neue Schichten erschließen, möglichst kantige Persönlichkeiten aus der Fülle des Volkes schöpfen!“

Otto Zwingli pflichtete ihm bei. „Das war in der Geschichte immer so gewesen. Eine neue Schicht wuchs heran, kam nach oben und benahm sich fortan ganz manierlich – bis die nächste neue Schicht von unten nachdrängte.“

Der Clubpräsident freute sich: „Genau. John Battermann ist ein Rohdiamant, der nur geschliffen werden muss. Wir werden ihm behutsam beibringen, was Manieren sind – nichts Hochgestochenes, sondern eine Clubkultur, die das Miteinander angenehm und verträglich macht.“

Und so wurde John vom Gute-Ton-Papst von Wattenwyl für ein Wochenende zu einem Crash-Kurs „Manieren“ in das Schloßhotel Redliwil eingeladen. John Battermann fühlte sich pudelwohl. Beim festlichen Dinner stieß er seinen Kollegen von Wattenwyl in die Seite und meinte mit Blick auf dessen Ehefrau: „Eine wirklich scharfe Braut“.

Doch von Wattenwyl blieb gleichmütig und vermittelte seinem „Manier-Lehrling“ wertvolle Erkenntnisse. Etwa, dass man zum Frühstück nicht in der Badehose erscheint und nicht den ganzen Obstkorb vom Büffet wegschleppt. Zudem half er John Battermann verstehen, dass Fernseher, Bademäntel und die alten Stiche in den Fluren keine Souvenirs, sondern Eigentum des Hotels waren.

Bei der Rückkehr in den Club war Rotarier Dietrich von Wattenwyl zufrieden. „Unser Mitglied John Battermann hat mächtige Fortschritte gemacht.”
In der Tat glänzte dieser mit erlesenen Umgangsformen. Präsident Georges Bräker war nur kurz irritiert, als John vor ihm einen Knicks machte und mit einem Handkuss begrüßte.

Von Wattenwyl meinte begütigend: „Das schleift sich auch noch ein.“

Kassier Armin Geldmacher allerdings murrte weiter: „Ehrlich gesagt: ich finde, wir haben nun genug aus der Fülle des Volkes geschöpft“.