78. Lenzin kommt

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Alt Bundesrat Hans Lenzin war eine Legende. Der rotarische Freund genoss schweizweit, eigentlich europaweit höchstes Ansehen. Sein größtes Projekt, die langjährige, erfolgreiche Entwässerung des Röstigrabens, sicherte ihm schon jetzt einen Platz in den Geschichtsbüchern. Auf Anfrage hatte er sich bereiterklärt, vor dem RC Redliwil darüber zu sprechen.

Präsident Georges Bräker war begeistert: „Das wird ein Höhepunkt unserer Clubgeschichte“. Weniger begeistert war Kassier Armin Geldmacher: „Hast Du schon seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen?“

Georges erschrak: „Will er etwa ein Honorar?“

„Nein, aber er besteht auf einem angemessenen Auditorium. Unter 500 Zuhörenden will er es nicht machen.“

„Hm, da reicht die Heidistube nicht aus – da müssen wir wohl die Stadthalle Redliwil mieten.“

Gesagt, getan. Die Stadthalle fasst glücklicherweise exakt 500 Gäste. Im Club wurde eifrig für das Großereignis geworben, aber eine Woche vor dem Auftritt hatten sich erst mal 23 Interessenten angemeldet. Eine Katastrophe.

„Nehmen wir doch unsere Partnerinnen und Partner dazu, außerdem alle Ex-Gattinnen und Ex-Ehemänner, dann kommen wir auf knapp 100“, meinte der Sekretär Hans Tgetgel bei der Rekognoszierung in der Stadthalle. Der Präsident schüttelte den Kopf: „Das bringt das Fass noch nicht zum Ueberlaufen.“

„Sollen wir wieder andere Serviceclubs einladen?“

„Das versteht sich. Du weisst es ja:  Unsere letzte Einladung an die Nachbarclubs war erst vor kurzem. Das wird sonst zu viel. Wenn einzelne kommen, freut uns das sehr. Manche Organisationen haben unseren alt Bundesrat ja auch schon eingeladen.

Der Kassier wusste einen Ausweg. „Der Redner spricht vorne vom Podium herab. Das leuchten wir gut aus, er steht ja gerne im Licht. Und nach hinten verdunkeln wir allmählich den Saal und nehmen die letzten 30 Stuhlreihen stillschweigend weg. Von vorne macht dieser Saal dann immer noch einen grossen Eindruck.“

Georges Bräker war es nicht sehr wohl bei diesem Kunstgriff, aber was sollte er sonst tun?

Am vereinbarten  Abend traf die Limousine von alt Bundesrat Lenzin pünktlich ein. Der Clubpräsident stand erwartungsvoll im Freien und staunte nicht schlecht, als er hinter dem Bundesratsfahrzeug etwa 20 Autobusse heranfahren sah. Hunderte von Personen stiegen aus, strömten zielstrebig in die Stadthalle und füllten diese bis auf den letzten Platz.

Auf dem Podium erklärte der Gastredner dem Clubpräsidenten beiläufig: „Lieber Freund, Sie können das Licht hinten im Saal wieder anzünden. Weil ich Rotary gut kenne, bringe ich sicherheitshalber mein Publikum immer selber mit…“