Glosse 107: Der rotarische Adel

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Neuerdings erfreute sich die private Ahnenforschung im RC Redliwil wachsender Beliebtheit, zumal die genealogische Recherche dank des Internet immer leichter wurde. Bei den Familien-Stammbäumen entspann sich ein regelrechter Wettbewerb, wobei Rotarier Friedrich von Planta im Vorteil war. Er konnte seine Vorfahren bis zur Zeit der Kreuzzüge zurückverfolgen, was ihm mächtig Prestige verschaffte.

Das missfiel Rotarier Max Sprüngli, einem überzeugten Demokraten. Also hielt er einen Vortrag über den vierten Kreuzzug, dessen Tiefpunkt 1204 die Plünderung von Konstantinopel durch die christlichen Ritter war. Von Planta beteuerte, sein Vorfahr sei 1204 wegen eines Burnout-Syndroms auf der heimischen Burg geblieben und habe sich dem Minnesang gewidmet. Doch der Nimbus war dahin.

Um die Atmosphäre zu entspannen, schlug Präsident Bräker vor: «Konzentrieren wir uns doch auf den rotarischen Adel. Wer von uns kann auf eine familiäre rotarische Tradition zurückblicken?»

Da gab es einige, die schon in der zweiten Generation Rotarier waren. An die Spitze des rotarischen Adels setzte sich aber Hans Tgetgel, dessen Vater und auch der Grossvater bei Rotary gewesen waren. Stolz berichtete Tgetgel: «Schon an meinem zehnten Geburtstag hat mich mein Grossvater darauf eingeschworen, dereinst das Amt des Kassiers zu übernehmen – sonst mache und könne das ja keiner im Club.»

Da man schon bei den Stammbäumen war, wurde eine Historische Kommission unter Leitung von Sprüngli gegründet, die die Geschichte des RC Redliwil aufbereiten sollte. So glanzvoll sie war – im Vergleich zum RC Zürich, der als erster Schweizer Club 1924 gegründet wurde, war der RC Redliwil leider etwas jüngeren Datums.

Das schmerzte Rotarier Sprüngli. Doch Bräker warf ein: «Ein Jahr im RC Redliwil zählt eigentlich so viel wie fünf Jahre in einem normalen Club. Als Präsident weiss ich, wovon ich rede.»

Das gefiel Sprüngli schon besser. Im Vorwort zur neuen Clubchronik schrieb er, «ideell gesehen ist der RC Redliwil der älteste Rotary-Club der Schweiz, wenn nicht Europas.»

«Ist das nicht etwas gewagt?», fragte Bräker.

Sprüngli blieb unbeirrt: «Nein, das ist eine Art höhere historische Wahrheit.»