87. Die Regularien

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Jedes Meeting des RC Redliwil eröffnet Präsident Georges Bräker mit den sogenannten Regularien. Dabei geht es um Geburtstage, Meldungen des Distrikts und ähnlich aufwühlende Themen. Er empfindet das stets als unangenehme Pflicht, aber es muss sein. Bis das neue Mitglied Lukas Odermatt kam.

Dieser war Chefredaktor von BLOCK, der führenden Schweizer Boulevardzeitung. Gegen viele Bedenken war er Rotarier geworden, aber irgendwie wollte der Club etwas „bunter“ werden. Nach einer Folge von wenig interessanten allgemeinen Informationen über unsere Organisation wandte sich Odermatt an den Präsidenten: „Ich wüsste, wie man diesen Programmpunkt belebt. Das Material liefere ich – bist Du interessiert?“

In einem Anfall von Kühnheit meinte der Clubpräsident: „Ich bin immer für neue Formen offen.“ Und so entstand ein neues Meeting, das Georges Bräker wie gehabt mit den Regularien startete, gut gefüttert von BLOCK. Er begann zum Beispiel wie folgt: „Unser Mitglied Max Sprüngli hat nach einer schwierigen Zeit wieder einen Führerschein: Dieser Ausweis wurde in Albanien ausgestellt, soll aber auch hier gültig sein. Wir gratulieren herzlich.“

Dann fuhr er fort: „Ernst Bader hat für ein soziales Projekt spontan 500 Franken gespendet. Sehr schön, vielen Dank! Ich erlaube mir aber den Hinweis, dass es vor Jahresfrist noch 1‘000 Franken waren…“

Beim nächsten Meeting war die Präsenz deutlich höher, alle warteten gespannt auf die Regularien. Der Clubpräsident berichtete: „Wir gratulieren unserem Mitglied Peter Grossenbacher zur vierten Eheschließung. Uebrigens: Seine Verweildauer in den vorigen Ehen betrug im Durchschnitt 7,6 Jahre.“

Die Heidistuben im Gasthof Wohlfahrt waren zu den Meetings nun regelmäßig überfüllt, auch wenn der Clubpräsident beim Vortragen der neuen Regularien stets ein etwas ungutes Gefühl hatte. Als sich plötzlich der Governor zu einem außerplanmäßigen Besuch ankündigte, sagte der Präsident zu Lukas Odermatt: „Aber diesmal nehmen wir die Normalversion.“

So durfte Hans Ackermann über die neuentdeckten romanischen Fresken im Dom zu Redliwil referieren, und brav spulte der Clubpräsident die gewöhnlichen Regularien ab.

Beim Mittagessen berichtete der Governor dem Clubpräsidenten neben ihm von einer originellen Eröffnung, die er kürzlich beim Club Limmattal erlebt hatte: Clubpräsident Mario bittet dort seine Mitglieder jedes Mal zuerst um irgendein Stichwort, zu dem er dann humorvoll-lebendig kurz aus seinem Leben erzählt, zum  Beispiel zum Wort „Schulschatz“, das Fritz als letztes Gründungsmitglied spassig vorgeschlagen hatte. Mario nahm es auf und erzählte dann, wie er nach dem Wechsel in eine Schule mit Mädchen seinen Schatz bis zur Matura gefunden hatte. Auf eine solche Eröffnung reagiert der Club Limmattal mit Begeisterung.

Trotzdem wirkte der Governor jetzt irgendwie enttäuscht. Halblaut meinte er zu Georges Bräker: „Der Fresko-Vortrag war ja brillant, aber eigentlich kam ich, um Näheres über den Führerschein zu erfahren. Wo kriegt man diesen Schein in Albanien?“