93. Einer für alle, alle für einen

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

„Wir brauchen mehr Zusammenhalt in unserem Club Redliwil“, befand Präsident Georges Bräker und bat seinen Clubfreund Hansjakob Gafner um ein entsprechendes Motivationsreferat. Der übernahm das sehr gerne und wählte als Motto „Einer für alle, alle für einen“ aus dem Roman „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas.

Gafner zitierte auch den inoffiziellen Wahrspruch der Schweizerischen Eidgenossenschaft „Unus pro omnibus, omnes pro uno“, der als Inschrift hoch oben in einem Kuppelbau des Bundeshauses zu Bern steht. Dieser Leitsatz drückt das schweizerische Ideal einer aktiven Solidarität, des Zusammenhalts im Land und der Eigenverantwortung aus.
Das gleiche Motto “Einer für alle, alle für einen” wurde auch von jungen Welschen gewählt, die diese Werte im Jahr 2021 über eine Volksinitiative wiederbeleben wollen. Dieser Verein ServiceCitoyen.ch schlägt nämlich vor, die Dienstpflicht neu zu gestalten. Jede Bürgerin und jeder Bürger unseres Landes soll inskünftig einen Milizdienst zugunsten der Gesellschaft und der Umwelt leisten. Der Referent erntete andächtiges Nicken und mächtig Beifall. Ein weihevolles Gefühl der Solidarität wehte durch die Heidistuben.

„Mal schauen, wie lange das anhält“, brummte Clubsekretär Hans Tgetgel. Er gehörte zum harten Kern des Clubs, zu den wenigen, die den Laden am Laufen hielten – gefühlt seit den Zeiten von Alexandre Dumas. Neben Bräker, Tgetgel und Gafner waren es die Clubmitglieder Max Sprüngli und Erna Zehnder. Beim Rest der über 60 Mitglieder erschöpfte sich das rotarische Engagement im Leitsatz „Meet, Greet and Eat“. Das hielt diese MGE-Fraktion nicht davon ab, den Service der Musketiere stets sehr kritisch zu begleiten – „Meet, Greet, Eat and Motzen“ lautete deshalb ihr Spruch.

Der Clubsekretär sollte mit seiner Skepsis recht behalten. Einer Einladung des französischen Partnerclubs St. Maladie sur Mer mochte niemand zu folgen, mit Ausnahme der fünf Musketiere. Georges Bräker aktivierte kurzerhand seine Tante Emma und zwei Neffen, damit die Redliwiler Delegation einigermassen präsentabel aussah.

Beim Wohltätigkeitsgrill für das Kinderheim Entlisberg stand Max Sprüngli mehrere Stunden lang alleine hinter dem vernebelten Rost, ehe er wegen einer Rauchvergiftung aufgeben musste. Und Peter Grossenbacher holte sich einen Hexenschuss beim Plakatieren für das rotarische Benefizkonzert der Redliwiler Philharmoniker.

Als Kassier Armin Geldmacher gleich drei Austauschschüler auf einmal in sein Haus aufnahm, weil sonst niemand Platz und Zeit hatte, platzte ihm der Kragen. Gegenüber Präsident Bräker verkündete er: „ich bestelle jetzt einen Malermeister.“

„…einen Malermeister – für was?“

„Für ein neues Clubmotto.“

Das Ergebnis konnten die Freunde beim nächsten Meeting in den Heidistuben bestaunen. An der Decke prangte in blutroten Lettern:
Wenige für alle und immer dieselben.

92. Durchdigitalisiert

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Rotarier Max Schnebeli, Chefarzt i. R. im Klinikum Redliwil, war ein Urgestein des Clubs. Als sein 80. Geburtstag nahte, begannen umfangreiche Planungen, um ihn mit einem Festabend zu ehren. Dem Jubilar graute davor. Zur Gattin Rosalie meinte er: „So viele Leute auf einem Haufen! Fritz Mühsam, sein Nachfolger als Klinikchef und ebenfalls Rotarier, würde die Festrede halten. „Dabei habe ich mich bis heute noch nicht von seiner Laudatio zu meinem Siebzigsten erholt“, seufzte er.

Was tun? Max Schnebeli dachte darüber nach, als er den letzten Wochenbericht seines Clubs Redliwil las. Auf Papier, denn er war der letzte im Club, der sich das Dokument per Post zustellen ließ. Zur Elektronik hielt er eine vornehme Distanz.

Dann kam die Corona-Pandemie und seiner Ehefrau gelang es, ihn für die neuen Online-Meetings im Club zu erwärmen. Von einer Freundin hatte sie vernommen, dass der benachbarte Rotary Club Limmattal dank der Technik seines Mitgliedes Pascal schon 8 Meetings problemlos online durchgeführt hatte. An einem Meeting waren sogar 36 Mitglieder präsent, mit Bild einzeln erkenn- und ansprechbar. Bei Vorträgen waren technische Präsentationen gut erfassbar.

Nun sass Max Schnebeli also erstmals vor dem Bildschirm eines Rechners und fragte seine Frau: „Wenn ein Freund zu lange redet, kann ich den einfach per Tastendruck abstellen?“ Die Gattin nickte.

„Großartig“, sagte er und spürte eine Art Urknall in sich. Er kaufte sich ein Hochleistungs-Notebook und belegte an der ETH Zürich den „Masterkurs Social Media“. Seine Privatbibliothek mit ihren 6.277 Bänden sowie die 27.131 Fotos transferierte er in das Notebook, das Testament und sein Tagebuch kamen zugriffssicher in die Cloud. Er tauchte ein in Facebook, Twitter, Xing, TikTok und Instagram, wo er bald als Platzhirsch die Gruppen dominierte.

Kurz vor dem 80. Geburtstag raunte Kassier Armin Geldmacher: „Max hat sich komplett entmaterialisiert. Es gibt ihn nur noch digital.” Vorsichtig fragte Präsident Bräker seinen Freund Max an, wie man es denn mit seinem großen Tag halten solle.

Dieser erwiderte per Twitter: „Gar nicht“.

Am Jubeltag selbst grüßte er aber alle Freunde per Whatsapp mit einem Selfie, das ihn beim beschaulichen Wandern rund um die Blumenwiesen des Redliwiler Horns zeigte. Außerdem hatte er eine generöse Spende für den Jugenddienst seines Clubs Redliwil überwiesen.

Als die normalen Meetings in den Heidistuben wieder begannen, glänzte Max Schnebeli aber durch Abwesenheit. Präsident Bräker rief ihn an: “Lieber Max, wann sehen wir Dich endlich wieder einmal persönlich wieder?“

Max hüstelte: „Weiß ich noch nicht. Morgen muss ich erst mal für ein paar Wochen ins Silicon Valley. Dort bin ich zu einem Gastvortrag eingeladen.“

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