Glosse 125: Das Alphatier

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Der neue Rotarier Erich Zielhans hatte es vom Lehrling bis zum Verwaltungsrats-Präsidenten gebracht. Entsprechend omnipotent präsentierte er sich beim ersten Meeting im RC Redliwil: «Ich bin angetreten, um dem Club zu neuer Blüte zu verhelfen. Hier liegt ja doch einiges im Argen.»

«Da haben wir ja ein ganz besonderes Alphatier», murmelte Sekretär Tgetgel am Vorstandstisch zu Präsident Bräker.

«Keine Sorge», erwiderte Bräker. «Hier greift unser AZP». Und das Alphatier-Zähmungs-Programm wurde in Gang gesetzt.

Zielhans unterbreitete Bräker ein 50-seitiges Thesenpapier zur Neuaufstellung des Clubs, verbunden mit dem Vorschlag, die Amtszeit des nächsten Präsidenten auf fünf Jahre zu verlängern.

«Und wer soll das machen?»

«Ich. Oder sehen Sie jemanden sonst, der das kann?»

Bräker kratzte sich am Kopf. «Hm, rotarische Karrieren fangen bei uns eher klein an. Ich kann Ihnen aber eine interessante Position anbieten.»

«Welche?»

«Sie werden der Glockenbeauftragte des Clubs. Sie sorgen für die sichere Verwahrung und pünktliche Bereitstellung der Glocke zu den Meetings, dazu für die Pflege dieses Gegenstands.»

Murrend machte sich Zielhans ans Werk. Acht Wochen später rügte ihn Bräker, weil die Glocke nicht gut genug geputzt war. Und Zielhans verliess den Club. Aber das Thema Nachfolge beschäftigte Bräker weiter. Er fragte Dr. Depri-Stützbier, den führenden Psychologen des Clubs: «Lieber Freund, könnten Sie unsere Mitglieder hinsichtlich ihrer Eignung für das Präsidentenamt etwas kategorisieren? Aber bitte ohne Alphatiere – von denen habe ich im Moment genug.»

Das tat Depri-Stützbier gerne. «Also da hätten wir den Typ Beta. Der ist durchaus ehrgeizig, wäre gerne ein Alphatier. Aber dazu reicht es bei ihm nicht.»

Depri-Stützbier fuhr fort: «Es folgt der Gamma-Typ. Oft quirlig und fantasievoll. Aber unzuverlässig.»

Bräker stöhnte: «Gibt es denn gar keinen Lichtblick?»

Depri-Stützbier knetete seine Nase und meinte dann: «Der Typ Delta ist zurückhaltend, er kann was, aber er macht davon wenig Aufhebens. In manchen Deltaisten schlummert ein ungeahntes Führungstalent.»

Bräker dankte dem Psychologen überschwänglich. «Ab sofort nur noch Delta!»

Glosse 124: Der Knopflochrotarier

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Felix Grosshans liess seine Umgebung gerne wissen, dass er Rotarier war. An seinem Jackett prangte im Knopfloch des Revers stets eine Sonderversion der Rotary-Nadel, so gross wie eine Untertasse. Auch auf seiner Visitenkarte und der Website fehlte der Hinweis auf seine Zugehörigkeit zum RC Redliwil nicht.

Präsident Bräker sah das kritisch: «Die Nadel zu tragen, finde ich prinzipiell gut. Wir müssen in der Öffentlichkeit viel mehr Flagge zeigen. Aber dem Zeigen müssen auch Taten folgen!» Abseits des Schaulaufens mit der Nadel war Grosshans leider nur in homöopathischer Dosierung bei Rotary aktiv. Er kam selten zum Meeting, eigentlich nur dann, wenn sich ein externer Promi zum Gastvortrag angesagt hatte. Vor Ämtern im Vorstand drückte er sich wohlweislich, bei Hands-on-Projekten, die ein gewisses Engagement erforderten, glänzte er regelmäßig durch Abwesenheit.

Sekretär Tgetgel pflichtete seinem Präsidenten bei: «Grosshans ist der typische Knopflochrotarier. Und übrigens nicht der einzige im RC Redliwil.»

Freundlich wurden die Knopflochrotarier gebeten, sich doch etwas mehr in das Clubleben einzubringen. Es fruchtete nichts. Grosshans legte sich dafür eine ganze Sammlung von Rotary-Nadeln zu und sah bald aus wie ein russischer Armeebefehlshaber.

Das fiel auch Jungrotarier Winkler auf, einem der tüchtigen Dynamiker im Club. «Ich hätte eine Idee, wie wir Grosshans ein bisschen vorführen», sagte er zu Präsident Bräker.

«Wie denn?»

«Wir laden zu einem fröhlichen Sommerfest ein, das ganz im Zeichen der Jugend steht. Einen passenden Promi werde ich auch besorgen. Als Dresscode wird das Erscheinen im T-Shirt und ausdrücklich ohne Jackett vorgeschrieben. Dann muss Grosshans seine Nadeln im heimischen Safe lassen.»

Gesagt, getan. Zum Sommerfest an den Gestaden des Redliwiler Sees kamen alle Knopflochrotarier im T-Shirt. Auch Grosshans. Allerdings trug er ein T-Shirt mit einem tiefen V-Ausschnitt. So hatte man einen guten Blick auf sein Riesen-Tattoo mit dem Rotary-Rad.

Glosse 123: Weihnachten mit Murphy

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Rotarier Erich Lüthy war enttäuscht. Eigentlich wollte er einen Vortrag über den US-Ingenieur Edward A. Murphy halten, dem Urvater der geflügelten Maxime «Anything that can go wrong will go wrong». Hierzulande auch als «Murphys Gesetz» bekannt.

Sein Vortrag wurde verschoben, denn im RC Redliwil war Wichtigeres zu klären. Nämlich die Frage «Rund oder mit Zacken?» Dabei ging es um die Form des selbst gefertigten Gebäcks, mit dem der Club die Kleinen im Redliwiler Kinderheim St. Eulalia zu Weihnachten beglücken wollte.

Einer der Rundlinge meinte: «Wir sind Persönlichkeiten, die in sich ruhen und daher auch für die Schwächeren da sein können.» Ein Zackenfreund gab Contra: «Wir sind Persönlichkeiten mit scharfem Profil und können von daher auch für die Schwächeren da sein.»

Der Streit tobte schon seit dem Frühherbst, Weihnachten rückte immer näher. Da sprach Präsident Georges Bräker ein Machtwort: «Wir backen Plätzchen, die unten rund sind und oben gezackt. In der Mitte platzieren wir das Rotary-Rad.»

Der Club war befriedet und ging voller Elan ans Werk. Alle machten mit, Investmentbanker Marcel Munzinger kam eigens dazu aus seinem Zürcher Büro: «Ist doch schön, zur Abwechslung mal kleine Brötchen zu backen.»

Allerdings verfügte niemand in der Truppe über Erfahrung mit dem Backen von Plätzchen. Doch man verliess sich auf die High-Tech-Küche von Rotarier Ernst Schneebeli, wo das Ganze stattfand. Der Backofen war vernetzt mit Künstlicher Intelligenz. Die KI sorgte für das Rezept, für die Form und den Backvorgang.

Doch die erste Charge misslang, die Plätzchen waren hart wie Legosteine, die Plätzchen der zweiten Charge erinnerten in der Form an schwäbische Spätzle.

Schneebeli erteilte der Künstlichen Intelligenz eine scharfe Rüge. Zur Aufhellung der Stimmung liess er in der Küche den Song «Last Christmas» ertönen, und die Rotarier nahmen einen neuen Anlauf.

Die dritte Charge überzeugte endlich durch Konsistenz und runde Zackigkeit. Leider sah das Rotary-Rad nun aus wie ein schlapper Autoreifen. Rotarier Lüthy ätzte: «Beim RC Redliwil ist offenbar die Luft raus.» Die KI sandte Schneebeli eine Mail: «Sorry, bin heute nicht so in Form.»

Im RC Redliwil leckte man sich die Wunden. Wenigstens durfte Rotarier Lüthy endlich seinen Vortrag nachholen. Er schloss mit den Worten: «Alles, was schief gehen kann, wird auch schief gehen. Murphy wusste, wovon er sprach. Ich vermute, er war auch Rotarier.»

Glosse 122: Fünf Sterne

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Rotarier Rolf Ackermann war ein Mann alter Schule, auf Stil bedacht und grosszügig, eine Säule des RC Redliwil. Als er seinen 70. Geburtstag feierte, lud er sämtliche Mitglieder des Clubs inklusive Anhang in das Gourmetrestaurant «Chez Max» ein, wo man die Haute Cuisine pflegte. Wie absehbar, betrug die Präsenz der Mitglieder hundert Prozent. Alle freuten sich auf ein opulentes Menü, zusätzlich begeistert von der Ankündigung des Jubilars, es gäbe nur eine kurze Rede, nämlich die von ihm selbst.

Beim Stehempfang vorneweg verteilte der Oberkellner gemäss einer Liste goldumrandete Kärtchen mit ein, zwei, drei, vier und fünf Sternen. Bald darauf schwebten die Kellnerinnen herein und teilten den Gästen je nach Sternchen ein Getränk zu.

Wer fünf Sterne hatte, erhielt ein Glas Champagner, bei vier gab es einen hochklassigen Sekt, bei drei einen eher durchschnittlichen Fendant, bei zwei eine Rivella. Die Einsterner mussten sich mit Mineralwasser begnügen. Ratlos beäugten sich die verschiedenen Sternefraktionen.

Ackermann klärte die Gäste in seiner Begrüssungsansprache auf. Er sagte launig: «Liebe Gäste, das mit den Sternen habe ich bewusst so gemacht. Wer mir klassisch zum Geburtstag gratuliert hat, handgeschrieben mit dem Füllfederhalter und auf Büttenpapier – der kriegt fünf Sterne.»

Ackermann fuhr fort: «Vier Sterne waren mir die persönlichen Anrufe zum Geburtstag wert. Wer mir per Email eine elektronische Glückwunschkarte übermittelte, erhält drei Sterne.»

Er machte eine Kunstpause. Beklommen warteten die Zwei- und Einsterner auf das, was nun folgen würde. Und Ackermann hob sein Glas: «Zwei Sterne vergebe ich für Glückwünsche per SMS oder Whatsapp und einen Stern für die, die mir gar nicht gratuliert hatten. Zum Wohle!»

Glosse 121: Rotarische Höflichkeit

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Lange galt für rotarische Anlässe im RC Redliwil das sogenannte rotarische Ausgleichsgesetz. Viele Rotarierinnen und Rotarier, die zugesagt hatten, erschienen gleichwohl nicht. Doch dafür kamen viele, die nicht zugesagt hatten. Doch zuletzt funktionierte das Gesetz nicht mehr, bis Veranstaltungsbeginn war oft völlig unklar, wer von den Mitgliedern tatsächlich erscheinen würde.

Der Wirt in Gasthof Wohlfahrt nahm sich Präsident Georges Bräker zur Brust: «So kann kein Gastronom kalkulieren. Wenn das so weiter geht, mache ich nicht mehr den Gastgeber für Ihren Club.»

In der nächsten Vorstandssitzung klagte Bräker: «Offenbar sind viele bei uns nicht in der Lage, sich verbindlich zu äussern.» Wenn eine Einladung rausging, kam meist ein «weiss noch nicht» oder ein «schaun mer mal» zurück. Clubsekretär Hans Tgetgel pflichtete dem Präsidenten bei: «die wollen sich alle Optionen offenhalten.»

Absagen, so sie denn überhaupt kamen, erfolgten oft, wenn die Veranstaltung schon lief. Dann wurde per Whatsapp auf plötzliches Zahnweh verwiesen, auf die überraschende Erkrankung der Erbtante oder die unvermutete Sperrung des Gotthard-Tunnels.

«So geht das nicht weiter», entschied Bräker und bat einen rotarischen Freund, beim Einladungswesen die Zügel anzuziehen. Es war Staatsanwalt Franz Schnyder, der sich mit Verve an die Arbeit machte. Fortan erfolgten rotarische Einladungen nur noch mit Einschreiben und Empfangsschein. Wer zusagte, aber dann doch nicht erschien, dem wurde wegen Vertragsbruchs eine heftige Konventionalstrafe in Aussicht gestellt. Nur mit Mühe konnte Bräker Schnyder daran hindern, bei mehrfachen Verstössen eine Gefängnisstrafe anzudrohen.

Doch das alles ging schief. Die Clubmitglieder waren so erschrocken, dass überhaupt keines mehr zusagte.

Bräker dachte nach, dann hatte er einen Einfall. «Ich plane eine kleine Lehrstunde in Sachen Verbindlichkeit als Akt der Höflichkeit», kündigte er Tgetgel an. Für ein Meeting in vier Wochen liess er den Auftritt von Mamma Anna Mia ankündigen, den neuen Star einer Schweizer Telenovela. Als Leckerbissen versprach Bräker, bei ihrem Besuch werde eine Tombola organisiert, der Gewinner dürfe einen kleinen Auftritt in der nächsten Folge der Telenovela haben und so zu seinen fünf Minuten Berühmtheit kommen.

Der komplette RC Redliwil sagte zu. Nur Tgetgel wusste, dass der Besuch des Stars frei erfunden war.

An besagtem Abend tummelten sich die Rotarierinnen und Rotarier erwartungsvoll in der Heidistube. Wer nicht erschien, war der Star. Nach einer Stunde verkündete Präsident Bräker der düpierten Gesellschaft: «Tja, wirklich schade. Und sie hat nicht mal abgesagt.»

Glosse 120: Aktion Sägewerk

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Bei der Neuwahl für die Aufnahmekommission des RC Redliwil setzten sich überraschend die Hardliner durch mit Rotarier Friedrich an der Spitze. Und der kündigte an: «Wir kehren zu unseren Wurzeln zurück, setzen bei neuen Mitgliedern konsequent auf Qualität statt Quantität.»

Da hatte es Alexander Medici, der letzte Progressive im Ausschuss, schwer. Doch unverdrossen schlug er Florentine Z., stellvertretende Leiterin des Völkerkundemuseums von Redliwil, für die Aufnahme in den Club vor.

Ernst Friedrich, seines Zeichens Ehrenpräsident des RC Redliwil, bügelte ihn ab. «Wir nehmen aus jeder Berufsgruppe nur die Nummer Eins.»

Medici klagte: «Aber Frau Z. ist eminent tüchtig, sie wäre eine Zierde unseres Clubs. Ausserdem sägt sie bereits emsig am Stuhl ihrer Vorgesetzten, in spätestens drei Jahren ist sie selbst die Chefin.»

Friedrich blieb unerbittlich. Dafür gewann er gleich drei Einser für den Club und war mächtig stolz. Leider erwiesen sich zwei der drei Einser bald als Nullen, zumindest was ihr rotarisches Engagement betraf. Friedrich ging in sich und rief Medici an. «Geschätzter Freund, ich bin zu einem Kompromiss bereit. Ich habe schon ein Codewort dafür – Aktion Sägewerk.»

«Wie bitte?»

«Nun, ich könnte mich auch für aussichtsreiche Stellvertreter erwärmen, wenn sie uns bei der Aufnahme schriftlich versichern, dass ihr Sägen am Chefstuhl binnen dreier Jahre erfolgreich abgeschlossen ist.»

Medici war begeistert, doch Florentine Z. zeigte sich bei seinem nächsten Annäherungsversuch spröde. Sie war mittlerweile beim Lions Club untergekommen. Auch ansonsten kam die Aktion Sägewerk nicht so recht voran, und Friedrich setzte wieder auf die harte Linie. Er zog einen Herrn Zumbrunn aus dem Ärmel, Chief Executive Officer eines Global Players, eine herausragende Persönlichkeit der Schweizer Wirtschaft.

Zumbrunn wurde im Eilverfahren aufgenommen, die noblen Clubs in Zürich hatten das Nachsehen. Anlässlich seines Einführungsvortrags wurde er gebeten, auch ein paar private Worte über seine Familie zu verlieren. Das tat er gerne und berichtete: «Die Nummer Eins in unserem Haushalt ist Caligula, unser Kater. Er gewährt uns seit acht Jahren Wohnrecht in seiner Villa. Die Nummer Zwei ist meine Ehefrau. Ziemlich weit danach kommt so eine Art Faktotum, zuständig für Geldbeschaffung und diverse niedere Dienste. Ich bin also nur die Nummer Vier.»

Glosse 119: Künstliche Intelligenz rotarisch

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

«Rotary ist ja richtig Arbeit», stöhnte Clubsekretär Tgetgel, als er sich wieder mal mit dem Wochenbulletin mühte. Ähnlich ging es den weiteren Clubmitgliedern, die über ihren Vorträgen brüteten.

Da kam Rotarier Danuser, ein Experte für Künstliche Intelligenz (KI) an der Universität Redliwil, gerade recht. Er hatte das Programm ChatGPT als Textgenerator weiterentwickelt, hin zu einer Sonderedition für den RC Redliwil.

Sein Vorschlag, KI rotarisch zu nutzen, wurde begeistert aufgenommen. Fortan glänzten die Wochenbulletins, zumal Danuser eine automatische «Optimierungskomponente» integriert hatte. Aus acht Meetingteilnehmern wurden 80, höfliches Klatschen für einen dürftigen Vortrag wurde zum «Beifallsorkan», ein grottenödes Gartenfest wurde zum «Highlight des Jahres».

Auch das Niveau mancher Vorträge stieg, was den Clubintellektuellen Dr. Wolfensberger nicht überraschte. Aber wehmütig meinte er: «Eine Maschine bestimmt unser Clubleben.» Zuspruch fand er nur bei Sekretär Tgetgel, der seine Beiträge weiter ohne Textroboter schrieb.

Dann gab Altpräsident Friedrich im Meeting einen Rückblick auf sein Leben. Im KI-gestützten Wochenbericht wurde er mit der bewegenden Passage zitiert, «als ich am 22.5.1882 den von mir geplanten Gotthardtunnel einweihen durfte.» Kurz darauf wurde der Silvestergruss von Präsident Bräker publiziert, der Wort für Wort der letzten Neujahrsansprache des Bundespräsidenten glich.

Danuser erklärte das Malheur: «Diese Sprachmodelle erfinden gelegentlich etwas dazu, in der Fachwelt heisst das Halluzination. Sind halt Kinderkrankheiten.»

Dr. Wolfensberger witterte seine Chance. Er betreute für die Website des Clubs die Kurzporträts aller Mitglieder. Ganz ohne KI veränderte er Danusers Profil. Dabei halfen ihm seine natürliche Intelligenz und etwas, worüber der Textroboter nicht verfügte – einen Schuss Hinterhältigkeit.

Bald konnte man auf der Website lesen, dass Danusers Dissertation wegen massiver Plagiate unter Verdacht stand. Und dass er beim letzten Redliwil-Marathon eine unerlaubte Abkürzung genommen haben soll. Der KI-Experte geriet in einen Shitstorm, wagte sich nicht mehr auf die Strasse, geschweige denn in Meetings.

Entsetzt rief er Dr. Wolfensberger an: «Meine Abschlüsse an der Uni habe ich alle mit Auszeichnung und ohne jedes Plagiat erzielt. Und Marathon? Ich schaffe nicht mal einen 60 Meter-Lauf.»

Dr. Wolfensberger spendete treuherzig Trost: «Das ist ja furchtbar, lieber Freund, den Text werde ich sofort löschen. Wirklich schlimm, dass Ihr Programm wieder mal halluziniert hat.» Danuser zog seine KI à la Redliwil zurück und floh für eine Auszeit auf eine griechische Insel.

Im nächsten Meeting trafen sich Dr. Wolfensberger und Tgetgel. Der Clubsekretär flüsterte: «Will lieber nicht wissen, wie Sie das hingekriegt haben. Aber grosses Lob, noch sind wir dieser Maschine über.»

Dr. Wolfensberger wiegte den Kopf: «Noch.»

Glosse 118: Die Charter-Urkunde

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Eines Tages ging Präsident Georges Bräker daran, Familienpapiere zu sortieren. Dabei stiess er auf einen Brief seines Vaters von 1963. «Eine schöne Charterfeier hatten wir in der Heidistube», schrieb der Vater.

Bräker erstarrte. Vor 60 Jahren also wurde der RC Redliwil gegründet, das hatte er ganz vergessen. Aber wann genau? Das stand nicht in dem Brief. Bräker berief eine Krisensitzung des Vorstands ein und fragte: «Warum hat der Clubarchivar nicht an das 60jährige Jubiläum erinnert?»

«Weil wir seit zehn Jahren keinen Archivar mehr haben», sagte Rotarier Paul Egli. «Wir haben quasi unser Gedächtnis verloren.»

Bräker fiel es wieder ein. Rotarier Anton Gafner hatte das Archiv akribisch geführt, aber niemand hatte sich für ihn interessiert. Beleidigt hatte er dann den Club verlassen.

«Dann muss ich wohl nach Canossa gehen», seufzte Bräker und begab sich zu Gafner. Dort bat er um Entschuldigung und machte er drei Kratzfüsse. Gafner war besänftigt und führte ihn in seinen Heizungskeller. «Die Gründungsmitglieder können wir nicht mehr fragen, aber vielleicht finden wir hier etwas», meinte er und durchstöberte einen staubigen Karton.

Schliesslich förderte er ein zerknittertes Dokument zutage. «Na also, da haben wir die Charter-Urkunde von 1963», sagte er zufrieden. Zufrieden war auch Bräker – bis er den riesigen roten Fleck auf der Urkunde sah. Er verdeckte passgenau das Datum der Gründung.

«Das stammt von Rotwein, war wohl eine ziemliche Sause damals», konstatierte Gafner.

Was tun? In seiner Not wandte sich der Präsident an den Chef der Redliwiler Polizei, Franz Mühlemann, der passenderweise ebenfalls Rotarier war. Mühlemann meinte lässig: «Ich gebe die Urkunde mal in unsere Labors zur kriminaltechnischen Untersuchung.»

Zwei Tage später rief er zurück. «Wir hatten Erfolg.»

«So?»

«Bei dem Rotwein handelt es sich um einen Château Lafite Rothschild von 1959. Die Rotarier damals wussten, was gut ist.»

«Ja, und das Datum?», fragte Bräker verzweifelt.

«Hat die Säure des Weins weggefressen, sorry.»

Bräker war der Panik nahe, die von ihm so schön erträumte Jubiläumsfeier rückte in weite Ferne.

Erlöst wurde er von Rotarier Fritz Albrecht, Inhaber eines Grafikstudios, der eine «kreative Lösung» vorschlug. Bald präsentierte Albrecht eine prächtige, fleckenfreie Neuversion der Charter-Urkunde. Nach einem Bad in der Mikrowelle hatte sie auch die richtige Patina. Bräker war begeistert, fragte aber: «Und der exakte Tag der Clubgründung?»

«Kenne ich nicht, ich habe einfach meinen Geburtstag eingesetzt, den 29. Februar.»

Bräker machte sich an die Formulierung seiner Festrede. Die Einladungen zum Jubiläum gingen raus, schön verpackt in eine Kopie der Charter-Urkunde.

Zwei Tage vor dem Fest rief Rotarier Egli den Präsidenten an. «Ich will ja nicht meckern, aber einen 29. Februar gibt es nur in Schaltjahren. 1963 war definitiv kein solches.»

Doch in Bräker glühte nach all den Misslichkeiten die Vorfreude auf das Fest. Er beschied Egli: «Es bleibt beim 29. Februar 1963. Wir vom RC Redliwil haben unsere eigene Zeitrechnung, das macht uns ja so einzigartig.»

Glosse 117: Das präsidiale Piercing

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Lange vor dem Amtswechsel bat Präsident Bräker seinen designierten Nachfolger Roger Winkelried für ein privates Gespräch zu sich nachhause. Dabei weihte er ihn in die Finessen der Clubführung ein, in die vielen ungeschriebenen Gesetze, nach denen der RC Redliwil funktionierte. Insgeheim überfiel ihn eine gewisse Wehmut, denn er hing an seinem Amt.

Sie sassen im Arbeitszimmer Bräkers, neben dem Schreibtisch stand eine mannshohe Schneiderpuppe, angetan mit einem Jackett. «Das ist Theodor», meinte Bräker auf einen fragenden Blick Winkelrieds hin. «Aber kommen wir zum wichtigsten Punkt, er wird entscheiden, ob Sie als grosser Präsident in die Clubgeschichte eingehen. Wie ist Ihre Feinmotorik?»

«Meine was?»

«Ich meine Ihre Technik beim präsidialen Piercing, beim Anstecken der rotarischen Nadel für neue Mitglieder. Spielen Sie Klavier, reparieren Sie Ihre Uhr selbst?»

«Leider Nein. Ich bin eher der zupackende Typ. Als Student habe ich auf dem Bau Backsteine geschleppt, heute entspanne ich mich beim Holzhacken in meinem Garten», erwiderte Winkelried.

«Nun denn», meinte Bräker und ging mit ihm zu Theodor. Er reichte ihm eine Nadel: «So, jetzt piercen Sie bitte mal zur Probe. Denken Sie daran, das ist ein hoheitlicher Akt, der Ihnen alles abverlangt. Die Nadel muss in fliessender Bewegung mit Würde und Eleganz angesteckt werden, ohne peinliche Fummelei. Und Sie müssen hochpräzise und zielgenau sein, denn die neuen Rotarierinnen und Rotarier sollen die Zeremonie ja überleben.»

Winkelried packte die Nadel und fixierte die Puppe. Er senkte den Kopf wie ein Stier, nahm Anlauf und rammte die Nadel mit seiner schaufelgroßen Hand tief ins Revers des Jacketts und in das Styropor der Puppe. Theodor fiel um. «So geht es leider nicht», kommentierte Bräker.

Beim zweiten Versuch blieb die Nadel quer im Jackett stecken, beim dritten Mal zerbrach sie in zwei Stücke.

Und das war das Ende der Ära Winkelried, noch ehe sie begonnen hatte. Zum allgemeinen Kummer im RC Redliwil verzichtete er auf die Präsidentschaft, und Bräker wurde gebeten, noch ein Jahr dranzuhängen.

Bräker erfuhr davon in seinem Arbeitszimmer. Er zwinkerte Theodor zu: «Gut gemacht!»

Glosse 116: Die Influencerin

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Im RC Redliwil sorgten viele neue Rotarierinnen und Rotarier mit ihren neuen Berufen für ein bunteres Bild. So durfte Präsident Georges Bräker einen Spezialisten für Achtsamkeitstraining begrüssen, einen Coach-Coach und als Krönung eine Influencerin. 

Sekretär Hans Tgetgel wunderte sich. «Komisch, früher hatten unsere Mitglieder Studienabschlüsse in Jura, Betriebswirtschaft, Medizin, Ingenieurwissenschaften und dergleichen, meinetwegen auch Kunstgeschichte. Aber heute blicke ich nicht mehr durch, sind das denn ernsthafte Berufe?»

«Oh doch», meinte Achtsamkeitstrainer Albert Rütti. Seine acht Ratgeber zum Thema waren alles Bestseller, im RC Redliwil hatte er sich alle unterworfen. Jeder hatte auf seinem Smartphone eine App, die alle zwei Stunden per Alarm zum fälligen Meditieren aufrief.

Coach-Coach Peter Hasenfratz war in der Königsdisziplin der Beraterbranche unterwegs – er beriet seine Kunden aus Wirtschaft und Politik zur Frage, wie sie mit all ihren Beratern zurechtkamen. Im kleinen Kreis schwärmte er: «Wenn erst jeder, aber auch jeder Schweizer seinen persönlichen Coach hat, ist unsere Mission erfüllt.»

Die beiden waren jedoch kleine Fische gegen Elvira Leibundgut, eine Influencerin. Sie war jung, sah nett aus und war die geborene Plaudertasche. Auf Facebook, Youtube, Twitter, Instagram und TikTok warb sie rund um die Uhr für den Badezusatz «Laola», auf Kokosmilchbasis und mit Achtsamkeit produziert. Sie hatte mittlerweile 27,7 Millionen Follower und fuhr im Bentley zum Meeting in der Heidistube vor. Baden in Laola war Pflicht im RC Redliwil.

Im Gegensatz zu Sekretär Tgetgel war Präsident Bräker sehr beeindruckt. Als er bei Elvira Leibundgut eine der kostbaren Autogrammkarten ergatterte, meinte er: «Ich erwarte ja von jedem Rotarier, dass er in seinem Bereich Influence hat. Rotarierin Leibundgut hat Massstäbe gesetzt.»

Das fand auch Rotarier Josef Mosimann, der sich mit seinem Engagement in Bitcoins verspekuliert hatte und Geld brauchte. Er wurde ebenfalls Influencer und bewarb ein Produkt namens «Muttis Bestes».

«Sind das die Memoiren von Angela Merkel?», fragte ihn Bräker.

«Nein, das ist die hausgemachte Konfitüre meiner Gattin». Und so startete er seine neue Karriere, sass rund um die Uhr in der heimischen Küche und verzehrte in seinen Werbeclips eine Konfitürenschnitte nach der anderen.

«Wie läuft das Geschäft?», fragte Bräker nach einer Weile.

«Jeder Anfang ist schwer, aber ich habe schon Follower“, entgegnete Mosimann.

«Wunderbar, wer followt denn so Muttis Bestes?»

«Mein Sohn, unsere Haushaltshilfe und meine Frau».