85. Der Dickbrettbohrer

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Es geschah an einem Mittwoch gegen 12.29 Uhr: Mit einem hässlichem Knirschen knickte beim Präsidententisch ein Bein weg. Der Tisch samt Glocke geriet in Schräglage, was für eine Bescherung! Präsident Georges Bräker sah sich hilfesuchend in den Heidistuben um – einige Freunde eilten nach vorn. Doch sie alle, ob Verwaltungsratsvorsitzender, Regierungsrat, Global Digital Member oder Altphilologe – sie alle hatten keine Ahnung, was man machen sollte, um diesen Tisch zu flicken.

“Ich habe es schon oft gesagt”, erklärte der Clubpräsident, “wir brauchen in unserem Club auch Handwerker!” Der Wirt des Gasthofs Wohlfahrt wusste schliesslich Rat:
” Vorne in der Gaststube sitzt gerade Ernst Bluntschli.”
“Wer ist Bluntschli?”
“Ein sehr tüchtiger Handwerker, er führt eine gute Schreinerei hier in Redliwil.”

Und dieser Schreiner rettete das ganze Meeting. Er schaute kurz, was geschehen war, ergriff das Tischbein, ruckelte hier, ruckelte da, und der Tisch stand wieder richtig da.

Präsident Bräcker war begeistert. An der nächsten Vorstandssitzung meinte er: “Dieser Bluntschli, der wäre doch einer für uns. Unseren Club Redliwil kennt er ja schon ganz gut. Dann wäre endlich auch diese Berufsgruppe bei uns vertreten.”
Kassier Hans Tgetgel pflichtete ihm bei. “Wir sind viel zu kopflastig. Wir brauchen Handwerker und Techniker, wir brauchen Landwirte – also Leute, die eigentlich den Laden am Laufen halten.”
Gewisse Bedenken hatte der Clubintellektuelle Prof. Dr. Kurt Wolfensberger, der als Akademiker streng auf das Niveau der Vorträge achtete: “Bald werden wir etwas über Dübel und Leim hören, nun ja!”

Ernst Bluntschli wurde in den Club aufgenommen und fügte sich prächtig ein. Er war ein netter Mensch, zudem brachte er nach und nach auch viele rotarische Haushalte in Ordnung.
Einige Monate später schritt der Schreinermeister Bluntschli zu seinem Klassifi-kationsvortrag ans Rednerpult. Er sprach weder über Dübel noch Leim. Vielmehr präsentierte er diverse Bohrer und eine dicke Hartholzplatte. Während er diese Platte bearbeitete, plauderte er elegant und fachmännisch über das richtige Bohren als Kunst und Erkenntnisprozess. Und zitierte Max Weber: ” Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass zugleich”.
Und lässig schob der Schreiner nach: “Für die, die es nicht wissen, noch eine Erklärung: Max Weber war einer der Väter der modernen Kultur und Sozial-wissenschaften.”
Prof. Dr. Wolfenberger war zuerst überrascht und dann begeistert: “Endlich mal kein Dünnbrettbohrer wie so oft an meiner Hochschule!”

84. Die schwarzbäuchige Taufliege

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Rotarier Ruedi Knöpfli war neu im RC Redliwil und hatte schlaflose Nächte. Ein schlimmer Termin rückte näher und näher: sein erster Vortrag. Ruedi Knöpfli, von Haus aus Biologe, war ein hochkarätiger Fachmann in Sachen Drosophila, einer Gattung aus der Familie der Taufliegen. Aber er war schrecklich schüchtern, bei jeder Rede vor mehr als zwei Leuten geriet er ins Schwitzen und Stammeln.

Im RC Redliwil bewunderte er all die Eloquenten, die so souverän in freier Rede das rotarische Publikum in ihren Bann zogen. Und er beschloss, sich in seinem Erstvortrag nur auf sicherem Grund zu bewegen. In der Rede sollte daher die Drosophila einen breiten Raum einnehmen, wobei er mit seinen Kenntnissen bezüglich der schwarzbäuchigen Taufliege (Drosophila melanogaster) besonders beeindrucken wollte.

Er vertiefte sich zuvor auch in Rhetorik-Ratgeber und merkte sich einen Spruch von Peter Ustinov: “Eine Rede sollte einen brillanten Anfang und einen brillanten Schluss haben – sowie möglichst wenig dazwischen.” Ausserdem studierte er ausgesuchte Auftritte berühmter Redner.

Ruedi Knöpfli lernte wie der grosse Cicero seine Rede auswendig und als der wichtige Tag kam, stapfte er in den Heidistuben beklommen nach vorne. Er sah zum Buffet hinüber, das es nach dem Vortrag geben sollte und wünschte sich, es wäre schon so weit.

Doch der Start gelang ihm recht flüssig. Er sprach klar, frei und war über sich selbst erstaunt. Aber als er schwungvoll den Uebergang zur schwarzbäuchigen Taufliege nehmen wollte, setzte plötzlich sein Gehirn aus. Nichts kam mehr, rein nichts – er hatte nicht nur einen Hänger, er hatte komplett seinen Faden verloren. Keine Panik, sagte er sich und griff nach dem Zettel mit den Stichworten der Rede, die er sich für diesen “Worst Case” ins Jackeninnere gestopft hatte.

Das Papier, das er zutage förderte, war aber leider nur der letzte Einkaufszettel seiner Frau für den Supermarkt: ” Zwei Kalbsschnitzel, ganz dünn, ein Kilo Pfirsiche, ein Bio-Brot und einmal Persil, aber nur das Original.”

Die Katastrophe war komplett, Knöpflis Gehirn begann zu kollabieren. Still litt das Auditorium mit ihm. Knöpflis Blick schweifte hektisch durch den Raum, erneut musterte er das Büffet. Er gab sich einen Ruck und verkündete: “Den brillanten Anfang hatten wir schon, den Mittelteil erspare ich und komme zum brillanten Schluss – das Buffet ist eröffnet.”

Grosses Aufatmen bei den Freunden im Saal, prasselnder Beifall.
Und alles war wieder gut.

83. Gute Vorsätze

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

„Im neuen Jahr wird alles besser“, verkündete Präsident Georges Bräker an einem trüben Novembertag im Vorstand. Alle nickten und frohgemut gründete man den GVA. Dieser Gute-Vorsätze-Ausschuss erarbeitete Leitlinien, die inskünftig jedes Clubmitglied als Merkblättchen im Portemonnaie mit sich zu tragen hatte.

Nur der erfahrungsreiche Ehrenpräsident Ernst Friedrich war skeptisch und zitierte Oscar Wilde: „Gute Vorsätze sind Schecks, auf eine Bank ausgestellt, bei der man kein Konto hat.“ Doch das tat der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch. Zu den guten Vorsätzen gehörten u.a.:

Wir folgen unserem Präsidenten durch dick und dünn

Wir denken schon beim Erwachen an die nächste Präsenz

Wir haben uns alle lieb

Wir halten gerne Vorträge, aber kurz und knackig

Wir sind alle da, wenn Freiwillige gesucht werden

Wir verdoppeln unsere Spenden

Wir unterstützen die Projekte ROKJ und Polio Plus

Wir wechseln bei Tisch gerne die Plätze

Wir bestellen halbe Portionen und spenden die Differenz in die Projektkasse

Wir meckern nicht über das Essen

Wir machen Rotary überall positiv bekannt

Wir schalten bei Meetings das Smartphone aus.

In der Vorweihnachtszeit ging ein Ruck durch den RC Redliwil. Zu jedem Meeting waren die Heidistuben überfüllt, alle umarmten sich, Clubmeister Anton Hofer konnte sich vor Angeboten kaum retten, bei jedem Projekt standen die Freiwilligen Schlange, Kassier Armin Geldmacher wurden bündelweise Geldnoten in die Taschen gesteckt…

Der Clubpräsident war in Hochstimmung: „Ich sehe nur noch Lichtgestalten.“ Doch so gegen Ende Januar verflüchtigte sich der Elan. Georges Bräker verfiel in den Standardseufzer seines Clubs Redliwil: „Wir wollten das Beste, aber es wurde wie immer.“

Ehrenpräsident Friedrich kramte einen vergilbten Zettel aus seinem Geldbeutel und zeigte ihn dem Präsidenten: „Schau mal, das sind die guten Vorsätze, die wir in meinem Präsidentenjahr 1969 formuliert haben!“

Georges war erstaunt: „Das sind ja unsere heutigen Leitsätze!“

„Stimmt, mit Ausnahme des Smartphones.“

82. Die freie Rede

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

„Schweizer Chancen in Europa“ – ja, das ist ein schöner Titel für meinen nächsten Vortrag in unserem Club Redliwil, dachte sich Präsident Bräker zuhause in seinem Arbeitszimmer. Da kam sein achtjähriger Enkel Florian herein und schaute fragend auf den mit Papieren beladenen Schreibtisch:
„Was ist das?
„Das sind Unterlagen für meinen Vortrag.”
„Ach, Du gehst wieder zu den Rotierern? Wie machst Du Deinen Vortrag?“

„Ganz einfach. Ich überlege mir das Thema, entwerfe eine Gliederung, notiere ein paar Stichworte, übe das Ganze laut vor dem Spiegel und rede dann frei mit Video-aufnahme.“

Florian schüttelte den Kopf:  „Das ist zu wenig cool: Ich weiß etwas viel Besseres

Und der Enkel  Florian erklärte seinem Grossvater, dass beim Vortragen heute eine moderne Technik üblich sei: „Du musst computergestützt präsentieren. Arbeite mit Beamer und Leinwand, da kannst Du Bilder einspielen, das wäre doch megageil.“

Der Clubpräsident und Grossvater Georges Bräker fand den Ausdruck „megageil“ zwar etwas unpassend, aber erwärmte sich rasch für die Idee seines Enkels. Florian schleppte gleich die entsprechende Technik herbei und sagte: „Auf dem Rechner sind noch ein paar alte Sachen, das stört nicht. Ansonsten hast Du alles mit AC-3-Unterstützung, DivX-kompatibel, mit 6-Knopf-VHS, Q-Link und Show View.“

Aha!”
Er übte mit Florian ein paar Stunden, dann saßen alle Griffe.

Am Tag des Vortrags war der Präsident früh im Gasthof Wohlfahrt, in der Heidiland-Stube baute er die Leinwand auf, fuhr den Rechner hoch, schloss den Beamer an.
Es war alles da, auch Megatext, New Black Stripe Screen, Virtual Dolby und Bluetooth-Technologie. Alles in Ordnung.
„Wenn irgendwas klemmt, einfach F1 drücken“, hatte ihm der Enkel beim Weggehen noch geraten.

Der Vortrag ließ sich gut an. Die Gründerväter Europas, Schumann und de Gasperi, flimmerten in Schwarzweiß über die Leinwand, dann kam der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer beim Bocciaspielen. Doch just, als Bräker den Rütlischwur in Gestalt eines zeitgenössischen Gemäldes zeigen wollte, blieb das Bild plötzlich stehen. Außerdem ging das Licht aus.

Bräker drückte „F1“und sah, wie er selbst über die Leinwand watschelte, in der Badehose, ziemlich unvorteilhaft und sogar peinlich. Das war der Urlaubsfilm von 1997 „Schöne Tage in Brissago“.

Die Zuhörer kicherten. Bräker drückte erneut „F1“ und der Science Fiction-Film „Kampfstern Galactica“ donnerte durch die Heidiland-Stube. „Noch besser als Adenauer!“, rief ein rotarischer Freund in die Dunkelheit.

Bräker geriet in Panik. Er riss alle Stecker heraus. Leise gurgelnd soff der Rechner ab, der Beamer kollabierte krächzend. Ein trauriges „Oooh“ ging durch die Reihen

Stille.

Der Moment, in dem sich ein Mann als Mann erweisen muss. Bräker straffte den Rücken und verkündete: „Nun gut, dann spreche ich halt frei.“