96. Das Carepaket

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

„Die renommierte Kleinkunstbühne Redliwil ist wegen Corona in Not – wir sollten helfen“, befand Präsident Bräker an einer online-Vorstandssitzung. Er erntete einhellige Zustimmung, und es wurde beschlossen, dass jedes Clubmitglied eine einmalige Spende von 100 Franken leisten sollte.

Eine Rundmail wurde verfasst mit der Ankündigung, Kassier Armin Geldmacher werde die Summe demnächst abbuchen. „Damit setzen wir ein Zeichen der Solidarität mit den Künstlern. Die Zeiten sind hart, aber 100 Franken wird ja wohl jeder noch übrighaben“, freute sich der Clubpräsident. Der Kassier wiegte den Kopf: “Mal abwarten, ich kenne da so ein paar…..“

77 Mitglieder hatten keine Einwände, doch drei stellten sich quer. So Rotarier Baumann, der mit einem mehrseitigen Brief die Zahlung verweigerte und den Spenden-beschluss als „Ermächtigungsgesetz“ abtat. Ganz abgesehen davon sei er am Rande seiner Zahlungsfähigkeit.

Ihm folgte Rotarier Immergrün, der vorsorglich eine einstweilige Verfügung bei Gericht in Aussicht stellte. Als dritte Verweigerperson entpuppte sich Rotarierin Meier, die eine Foto mailte. Dieses Bild zeigte sie im Kreis ihrer Familie, die sich mit vier Löffeln um eine einzige Dose Ravioli scharte – „unser Sonntagsmahl.“

Der Präsident war bestürzt. „Geht es unseren drei Mitgliedern wirklich so schlecht?“, fragte er seinen Freund Armin. Dieser meinte: „Bernhard Baumann hat gerade einen neuen Bentley bestellt. Johann Immergrün lässt im Moment seinen Drittwohnsitz in London renovieren und Rotarierin Louise Meier hat kürzlich einen Haufen Apple-Aktien erworben. Da kann es schon mal eng werden mit der Haushaltskasse.“

„Was sollen wir tun?“

„Lass mich mal machen“, erwiderte der Kassier.

Er formulierte einen Brief mit dem Titel „Drei Mitglieder in Not“ und bat darin alle Clubmitglieder um die Zusendung von Care-Paketen an die drei: „Bitte mit Nescafé, Mehl und Zucker, Fertigpizzen, Ölsardinen sowie ein paar warmen Socken.“

Georges Bräker las einen Tag später den Entwurf: „Aber das hast Du doch hoffentlich nicht losgeschickt?“

Der Kassier lächelte: „Nein, diesen Bettelbrief habe ich unseren drei Mitgliedern nur als Entwurf gezeigt.“

„Und?“

„Louise Meier und Johann Immergrün haben die 100 Franken sofort überwiesen. Bernhard Baumann kam heute früh im Bentley vorbei und zahlte in bar.“