Glosse 109: Besuch aus Tallawichita

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Rotarier Baumann war neu im Club und erfuhr per Zufall, wie sich das alteingesessene Mitglied Zysset eine Auswärtspräsenz in New York gutschreiben liess. «Was ist das?», fragte er Präsident Bräker. Der informierte den Neuen gerne: «Zysset hat einen dortigen Rotary-Club besucht.»

«Darf man das so einfach, kostet das Eintritt, was sagen die in New York dazu?», fasste Baumann nach.

«Das darf man, das soll man sogar. Es kostet nichts, die Rotarier rund um den Globus freuen sich über einen Besuch, das steht für unsere internationale Verbundenheit. Gerade wir Schweizer sind doch stolz auf unsere Weltoffenheit», entgegnete der Präsident.

Baumann befasste sich mit dem Thema näher und sah, dass der weltläufige Zysset eher die Ausnahme war. Bei den meisten im RC Redliwil reichte die globale Verbundenheit nur bis zur Kantonsgrenze, sie waren noch nie in einem anderen Club zu Gast gewesen. Sie blieben lieber im heimischen Biotop. Rotarier Gafner sprach für viele: «Warum in die Ferne schweifen, wir haben es bei uns doch so gemütlich. Hier haben wir die schöne Redliwiler Spitze vor der Haustür und den Röstigraben, in dem es sich gut wandern lässt.»

Da traf es sich gut, dass Jungrotarier Baumann eines Tages beruflich in die USA musste und ein Meeting des Rotary Clubs Tallawichita/Kansas besuchte. Er wurde begeistert empfangen und verköstigt, er durfte sogar kurz über seinen Heimatclub berichten.

«Ein tolles Meeting», erzählte er nach der Rückkehr seinem Präsidenten.

«Wie viele waren da?»

«So an die 500.»

«Tja, bei uns verliere ich mich manchmal mit nur acht Rotariern in der Heidistube. Aber 500 sind irgendwie auch zum Fürchten. Wie viele Mitglieder hat denn der Club?»

«2517, hat man mir gesagt.»

«Da haben die wohl jeden zwischen Ost- und Westküste, der laufen kann, aufgenommen. Haben die Freunde sonst noch etwas gesagt?»

Baumann nickte: «Sie wollen uns bald besuchen.»

«Prima, freue mich.»

Einige Monate später wollte Bräker zum Meeting in den Gasthof Wohlfahrt, doch sein Wagen blieb schon an der Stadtgrenze im Stau stecken. Vor sich sah er Menschenmassen, die sich Richtung Gasthof wälzten, sie trugen Girlanden um den Hals und liessen Luftballons steigen, an einer Kreuzung tanzten Go Go-Girls zu den Klängen einer Brassband.

In der brodelnden Menge erkannte Bräker seinen Jungrotarier Baumann. Der rief ihm zu: «Die Freunde vom RC Tallawichita sind da. Während eines Europatrips haben sie spontan beschlossen, uns zu besuchen.»

«O Gott, alle 2517?»

«Nein, es sind 3322, der Club expandiert ja ständig.»

Baumann war es schliesslich, der das Chaos bändigte und auf dem Redliwiler Marktplatz ein halbwegs funktionierendes Freiluft-Meeting improvisierte. Bräker durfte sogar ein präsidiales Grusswort loslassen.

Eine Woche später sah Redliwil immer noch aus wie nach einem Tsunami, als Bräker zum regulären Meeting stapfte. In der Heidistube erwarteten ihn acht Mitglieder. Und Bräker seufzte: «Also, ein Hauch RC Tallawichita täte uns auch gut.»

Glosse 108: Zürcher Verhältnisse

Autor: Rot. Alexander Hoffmann

Präsident Georges Bräker atmete durch. Nach grossen Mühen war es ihm endlich gelungen, den Vorstand für das neue rotarische Jahr komplett zu besetzen. «Einige Mitglieder musste ich zum Jagen tragen, ehe sie sich engagierten», seufzte er im Meeting.

«Wir brauchen im Club Zürcher Verhältnisse», meinte dazu Moritz Hürlimann, ein Rotarier alter Schule, dessen Klagen über den allgemeinen Niedergang bei Rotary gefürchtet waren.

«Wie bitte?»

«Ich las kürzlich einen Bericht darüber, wie es in den 1920er Jahren beim RC Zürich zuging. Ein sehr nobler Club übrigens, eine Zierde unserer Gemeinschaft», erwiderte Hürlimann. Bräker vertiefte sich in die Abhandlung, die auf historischen Wochenberichten basierte und war sehr angetan. So bewarben sich in Zürich zeitweise zwei Drittel aller Mitglieder um einen Sitz im Vorstand – die mit den meisten Stimmen erhielten dann die begehrten Ämter. Streng waren die Präsenzregeln. Wer ein Meeting versäumte, musste sich schriftlich unter Angaben der Gründe entschuldigen. Wer unentschuldigt fernblieb, wurde namentlich im Wochenbrief genannt.

Bräker ernannte Hürlimann zum «Zürich-Beauftragten» mit der Vollmacht, ein paar der alten Gepflogenheiten wieder einzuführen: «Fege mal im RC Redliwil so richtig durch.» Hürlimann fegte, die Präsenzen stiegen fulminant.

Angesichts dieser erfreulichen Entwicklung machte sich Bräker entspannt auf zu seinen Sommerferien am Lago Maggiore. Kaum sass er vor seinem Apéro auf der Uferpromenade in Ascona, als sein Smartphone summte.

«Wo bist Du?», bellte Hürlimann ins Telefon.

«In Ascona, in den wohlverdienten Ferien, lieber Moritz. »

«So geht das aber nicht, Herr Präsident!», monierte Hürlimann.

«Was geht nicht?»

«Dass Du einfach so in die Ferien fährst und dann verstummst. Du hast offenbar das Dokument aus Zürich nicht komplett gelesen. In der guten, alten Zeit waren Vorstandsmitglieder strikt gehalten, auch im Urlaub Verbindung mit dem Club zu halten. Lese bitte mal nach, wie damals der Clubsekretär einen Präsidenten in den Senkel stellte – der hatte eine Woche lang aus seinem Ferienort St. Moritz nichts von sich hören lassen.»

Bräker erschrak, gelobte Besserung und meldete sich fortan täglich nach dem Morgenessen bei Hürlimann ab, abends folgte ein ausführlicher Rapport über seine Ausflüge rund um den Lago Maggiore.

Nach der Rückkehr studierte er erneut den Bericht aus Zürich. Ein wirklich bemerkenswerter Club, der früh auch weibliche Referenten einlud. Einmal jedoch war das nicht von Erfolg gekrönt, denn das Bulletin des RC Zürich verzeichnete: «Heute hätte Greta Garbo über ihren Beruf sprechen sollen. Sie ist aber nicht erschienen.»

Clubsekretär Hans Tgetgel meinte erleichtert: «Wenigstens in dieser Hinsicht sind wir auf Augenhöhe mit dem RC Zürich. Wir hatten mal Beatrice Egli eingeladen. Die erschien auch nicht.»