98. Die Zoom-Bücherwand

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Die Clubmeetings per Zoom hatten sich beim RC Redliwil gut eingeführt, wie Präsident Bräker an einer Vorstandssitzung (per Zoom) zufrieden erklärte. Er verwies auch auf einen Nebeneffekt: “Über die Live-Bilder erfahren wir mehr über unsere Freundinnen und Freunde, wie sie arbeiten, leben und was sie besonders mögen.“

„Genau das ist ja das Fatale“, murmelte Rotarier Ackermann, der sich in seinem Home Office eine gewisse Schlampigkeit zugelegt hatte. Am liebsten surfte er unrasiert und im Bademantel im Internet, in der Hand eine Bierflasche und eine dicke Zigarre. Vor jedem Zoom-Meeting musste er sich nun rasieren, in einen Anzug hüllen, das Rotary Zeichen anstecken und auf dem Schreibtisch demonstrativ eine Tasse Gesundheitstee platzieren.

Andere nutzten Zoom für dezente Public Relations. Die Redliwiler Bürgermeisterin Andrea Lüthi schaltete sich stets von ihrem Dienstzimmer aus zu, zur Linken das große Bild, das sie beim Händedruck mit einigen Bundesräten zeigte. Investmentbanker Marco Klotz gewährte in seinem New Yorker Büro einen fulminanten Blick auf die Skyline von Manhattan. Eher bieder ging es bei Rot. Hansjakob Gafner zu, dem führenden Bäcker von Redliwil, der sich inmitten seiner Brotlaibe und Puddingstückchen zuschaltete.

Der Clubintellektuelle Dr. Dr. Kurt Bader beeindruckte durch die riesige Bücherwand in seinem Rücken. Schon allein die Sammlung der Philosophen von Platon bis Sloterdijk und die gesammelten Werke von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt wirkten mächtig.

Auch Kaspar Manz zeigte sich vor einer Bücherwand. Allerdings mit Werken wie den Memoiren eines Fußballers „Das Runde muss ins Eckige“, dem Ratgeber „Schnäppchenführer Schweiz“ und der Sadomaso-Schnulze „Fifty Shades of Grey.“ Die entsprechenden Kommentare ließen nicht lange auf sich warten.

Kaspar sann auf Abhilfe. Er suchte Kurt Bader auf, lichtete dessen Bücherwand ab und ließ sich aus der Aufnahme eine Fototapete basteln. Diese wurde vor jedem Meeting vor die Sadomaso-Schnulze gerollt.

Das Ansehen von Kaspar Manz stieg rapide und bald legten sich weitere Mitglieder diese Fototapete zu.

Präsident Georges Bräker bekam diese Hintergründe nicht ganz mit. Und wunderte sich: „Komisch, dass alle dasselbe lesen. Aber es hat Niveau.“