91. Die rote Sonne von Capri

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Nach 20 Jahren wechselte im Gasthof Wohlfahrt der Pächter. Beim Abschied murmelte der scheidende Wirt gegenüber Präsident Bräker: „20 Jahre Kochen für Rotary macht mürbe. Für achtzehnfrankenfünfzig pro Menü gibt es halt keine haute cuisine.“ Er spielte damit auf die mächtige Sparbrötchenfraktion im Club Redliwil an.
Sein Nachfolger hieß Angelo, ein charmanter Italiener. Rot. Franz Schnyder witterte als Wortführer der Sparbrötchenfraktion die Chance. „Wollen wir nicht den neuen Wirt gleich in unseren Club aufnehmen?“, schlug er an einer Vorstandssitzung vor. Und fügte bei: „Damit kriegen wir sicher einen besseren Service und vielleicht gewährt uns der neue Chef auch einen Preisnachlass beim Essen.“

Vor allem Letzteres überzeugte die Mehrheit im RC Redliwil und bald darauf war Angelo Rotarier. Franz Schnyder meinte hoffnungsvoll: „Jetzt bestellen wir nur noch Pizza mit allem, so eine reicht locker für vier von uns.“
Angelo führte sich schwungvoll ein. Er scharwenzelte bei jedem Meeting durch die Reihen, grüßte den „Dottore“ hier, den „Professore“ dort. Dazu geizte er nicht mit Titeln wie „Avvocato“ und „Ingegnere“. Bernhard Baumann wurde zum „Monsignore“ und schritt fortan wie ein Kurienkardinal durch die Heidistuben.

Es gab keine Pizza mit allem, dafür begeisterte Angelo die Freunde für seine frischen Langusten und Doraden, sein fantastisches Bistecca alla Fiorentina, seine Pasta mit Trüffeln, seine primi piatti und secondo piatti, für ein Süppchen hier, ein Salätchen dort, immer umrahmt von unvergleichlichen Weinen.
Bald waren die Mitglieder überwältigt und badeten in einem mediterranen Lebensgefühl. Unmerklich verlängerte sich das Meeting auf zwei, dann auf drei Stunden.
Eines Tages schaffte man gar den nahtlosen Übergang vom Mittagessen hin zu einem ordentlichen Abendmenü. Franz Schnyder spendierte eine Lokalrunde Grappa und gemeinsam sang der ganze Club „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.“
Einzig Kassier Armin Geldmacher gab zu bedenken: „Der Durchschnittspreis für ein Menü ist jetzt auf CHF 87.66 gestiegen…“
Doch Präsident Georges Bräker war glücklich: „Egal, Hauptsache, unser Freund Franz fängt jetzt an zu leben!“

90. Die neue Ortografi

Verfasser: Donald
Teil einer Epistel von Reto E. Fritz an
seine Community (vom 20. April 2020)


Ein Beitrag zu der Schreibreform
der hat mich amüsiert.
Ich finde den Vorschlag ganz enorm
und hab ihn ausprobiert.

Es grast das fi im grünen kle;
Es stirt die ku zum ocksen.
Der fuks ist listig, scheu das re;
nicht alle bokser boksen.

Die ur zeigt die urzeit an,
im opst sind vitamine.
Ein appt? Ein frommer Klostermann –
ein fleissig tir die bine.

Erkwikkend sind die Kalbsfile
und bifstik mit fil sose.
Der blikk fon einer hübschen fe
wirkt heufig  wie hüppnose.

Mir scheint, es wär wohl doch nicht fein,
würd diese Schreibart Mode.
Vielleicht versucht der Sprechverein
mal folgende Methode:

Ein Dorn im C verursacht W.
Die V-lheit ist ein Laster.
Im Winter trinkt man gerne T.
Im Herbste blüht die Ast-R.

Die Q gibt Milch. Die L-stern gehn
gar gern auf Dieberei.
Wer leise geht, geht auf den 10;
ein Glas Kr-8 leicht ent-2.

Bläst man auf der Tromp-PT Bass,
dan wackeln alle Wände.
Zum R-nst wird oft ein kleiner Spass,
und alles hat ein ND.

Und paart man nun voll Harmonie
die beiden Schreibsysteme,
dann heisst es Q + oks m8 fi.
So löst man Sprachprobleme.

Mahnwort von Reto E. Fritz
an seine Epistel-Community

«Geniessen wir, was immer noch sein darf,
freuen wir uns über jenes, das uns neu bereichert,
und finden wir uns mit allem ab, was wir nicht ändern können.»

89. Der Reste-Tisch

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Als das 70jährige Jubiläum des RC Redliwil näher rückte, war angesichts der vielen Gäste die Mutter aller Fragen zu klären – wer sitzt wo und mit wem?
Das delikate Thema Sitzordnung wurde der Rotarierin Anna Obermüller anvertraut. Sie war die Enkelin von Ehrenpräsident Ernst Friedrich, die Generaldirektorin einer bekannten Lebensmittelunternehmung und somit bekanntes Mitglied der Redliwiler Gesellschaft.
Auf seine Frage klärte sie den Präsidenten Georges Bräker auf: „Wir planen einen Ehrentisch sowie die Tische A, B und C. Du kommst natürlich an den Ehrentisch und darfst neben mir sitzen.“

Vorsichtig fragte der Clubpräsident: „Und wer kommt an den Tisch A?“
„Hohe politische Würdenträger, außerdem Unternehmer mit einem Jahresumsatz von über 100 Millionen Schweizer Franken.“
„Und die B-Gäste?“
„Das sind Unternehmer mit unter 100 Millionen Umsatz. Außerdem Professoren und ähnliche Respektspersönlichkeiten.“
Der Clubpräsident seufzte: „Und wer muss an die C-Tische?“
„Diese passen für Prokuristen, Unternehmensberater, Versicherungsvertreter, Anwälte, Mitglieder von Nachbarclubs und dergleichen.“

Anna Obermüller hielt jetzt kurz inne und meinte dann fast erschrocken: „Oh je! Den Reste-Tisch habe ich ganz vergessen.“
„Oh je, wer kommt denn dort hin?“
„Rotaractors, Austauschstudenten, Künstler und ähnliche.
Eben: Der gute Rest!“

Sie machte sich mit dem Präsidenten an die Arbeit, hatte aber nicht mit der Selbsteinschätzung innerhalb des Clubs gerechnet. Dreiviertel der Mitglieder sahen ihren Platz am Ehrentisch und nur im Notfall an A-Tischen. Hinzu kamen diverse persönliche Befindlichkeiten.
Rotarier Franz Mühlemann, dessen Onlineshop gerade die 100 Millionen-Hürde genommen hatte, sah sich schon am A-Tisch, als Rotarier Alexander Medici  intervenierte: „Meine Drogeriekette kommt nur auf 95 Millionen, aber meine Umsatzrendite ist doppelt so hoch.“
Als die mit der Tischordnung beauftragte Rotarierin das Ehepaar Ackermann und Rot. Friedrich von Planta an einem C-Tisch platzierte, griff der Clubpräsident Bräker ein: „Das geht nicht: Frau Ackermann hieß vor einem Jahr noch Zehnder.“
Und auch die Absicht, Pastpräsident Daniel Bünzli mit dem gleichaltrigen Clubfreund Roger Winkelried an einem A-Tisch zu vereinen, scheiterte.

„Das geht schon gar nicht“, meinte Bräker.
„Warum nicht?“
„Weil sich beide überworfen haben. Roger hat Daniel mal die Vorfahrt in der Garage genommen, exakt am 23.9.1969.“

Die junge Generaldirektorin verzweifelte. Eine allseits befriedigende Tischordnung wollte ihr einfach nicht gelingen. Doch der Clubpräsident wusste wie oft Rat:
“Jetzt muss „FELIX“ ran! “
„FELIX“ war ein kleiner Hochleistungscomputer, unterstützt von den neuesten Errungenschaften der Künstlichen Intelligenz. Dieser Roboter war kürzlich angeschafft worden und fühlte sich bislang zu wenig beachtet.

Anna Obermüller fütterte ihn mit den Daten aller Gäste und ließ ihn dann arbeiten. Im Computer „FELIX“ summte, knackte und flackerte es lange, er schien regelrecht zu schwitzen.

Schliesslich verkündete er mit ziemlich blecherner, aber noch gut verständlicher Stimme: „FELIX“ kommt an den Ehrentisch, alle anderen an den Reste-Tisch.“

88. Der Rohdiamant

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Eine Werbeaktion des RC Redliwil führte zu einem unerwarteten Zustrom neuer Mitglieder. Zu ihnen gehörte auch Herr John Battermann, ein äußerst erfolgreicher Jungunternehmer. Leider waren seine Umgangsformen noch etwas rudimentär, wie ältere Freunde befanden. Nachdem das neue Mitglied wieder mal ins Fettnäpfchen getreten war, seufzte Rotarier Dietrich von Wattenwyl: „Wo sind nur seine Manieren? Meine Erziehung hat Tausende gekostet.“

Dietrich stammte aus einem uralten Adelsgeschlecht und war für den „guten Ton“ im Club verantwortlich. Er sah sich beim nächsten Meeting bestätigt, als John Battermann in einem Monsterjeep kam, mit breiten Schlappen, Vierfach-Auspuff und den dumpfen Bässen des Autoradios, die schon von weitem die Fenster der Heidistuben zum Erzittern brachten. Während des Meetings ließ er dann stolz eine Kopie seines jüngsten Steuerausweises rundum gehen.

Kassier Armin Geldmacher murrte: „So ist das eben, wenn man aus Redliwil-Ost kommt, wo die Polizei nur zu viert unterwegs ist, wenn überhaupt.“

Präsident Georges Bräker widersprach: “Bitte keinen Hochmut. Wir wollen uns bei Rotary doch verjüngen. Wir wollen neue Schichten erschließen, möglichst kantige Persönlichkeiten aus der Fülle des Volkes schöpfen!“

Otto Zwingli pflichtete ihm bei. „Das war in der Geschichte immer so gewesen. Eine neue Schicht wuchs heran, kam nach oben und benahm sich fortan ganz manierlich – bis die nächste neue Schicht von unten nachdrängte.“

Der Clubpräsident freute sich: „Genau. John Battermann ist ein Rohdiamant, der nur geschliffen werden muss. Wir werden ihm behutsam beibringen, was Manieren sind – nichts Hochgestochenes, sondern eine Clubkultur, die das Miteinander angenehm und verträglich macht.“

Und so wurde John vom Gute-Ton-Papst von Wattenwyl für ein Wochenende zu einem Crash-Kurs „Manieren“ in das Schloßhotel Redliwil eingeladen. John Battermann fühlte sich pudelwohl. Beim festlichen Dinner stieß er seinen Kollegen von Wattenwyl in die Seite und meinte mit Blick auf dessen Ehefrau: „Eine wirklich scharfe Braut“.

Doch von Wattenwyl blieb gleichmütig und vermittelte seinem „Manier-Lehrling“ wertvolle Erkenntnisse. Etwa, dass man zum Frühstück nicht in der Badehose erscheint und nicht den ganzen Obstkorb vom Büffet wegschleppt. Zudem half er John Battermann verstehen, dass Fernseher, Bademäntel und die alten Stiche in den Fluren keine Souvenirs, sondern Eigentum des Hotels waren.

Bei der Rückkehr in den Club war Rotarier Dietrich von Wattenwyl zufrieden. „Unser Mitglied John Battermann hat mächtige Fortschritte gemacht.”
In der Tat glänzte dieser mit erlesenen Umgangsformen. Präsident Georges Bräker war nur kurz irritiert, als John vor ihm einen Knicks machte und mit einem Handkuss begrüßte.

Von Wattenwyl meinte begütigend: „Das schleift sich auch noch ein.“

Kassier Armin Geldmacher allerdings murrte weiter: „Ehrlich gesagt: ich finde, wir haben nun genug aus der Fülle des Volkes geschöpft“.

87. Die Regularien

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Jedes Meeting des RC Redliwil eröffnet Präsident Georges Bräker mit den sogenannten Regularien. Dabei geht es um Geburtstage, Meldungen des Distrikts und ähnlich aufwühlende Themen. Er empfindet das stets als unangenehme Pflicht, aber es muss sein. Bis das neue Mitglied Lukas Odermatt kam.

Dieser war Chefredaktor von BLOCK, der führenden Schweizer Boulevardzeitung. Gegen viele Bedenken war er Rotarier geworden, aber irgendwie wollte der Club etwas „bunter“ werden. Nach einer Folge von wenig interessanten allgemeinen Informationen über unsere Organisation wandte sich Odermatt an den Präsidenten: „Ich wüsste, wie man diesen Programmpunkt belebt. Das Material liefere ich – bist Du interessiert?“

In einem Anfall von Kühnheit meinte der Clubpräsident: „Ich bin immer für neue Formen offen.“ Und so entstand ein neues Meeting, das Georges Bräker wie gehabt mit den Regularien startete, gut gefüttert von BLOCK. Er begann zum Beispiel wie folgt: „Unser Mitglied Max Sprüngli hat nach einer schwierigen Zeit wieder einen Führerschein: Dieser Ausweis wurde in Albanien ausgestellt, soll aber auch hier gültig sein. Wir gratulieren herzlich.“

Dann fuhr er fort: „Ernst Bader hat für ein soziales Projekt spontan 500 Franken gespendet. Sehr schön, vielen Dank! Ich erlaube mir aber den Hinweis, dass es vor Jahresfrist noch 1‘000 Franken waren…“

Beim nächsten Meeting war die Präsenz deutlich höher, alle warteten gespannt auf die Regularien. Der Clubpräsident berichtete: „Wir gratulieren unserem Mitglied Peter Grossenbacher zur vierten Eheschließung. Uebrigens: Seine Verweildauer in den vorigen Ehen betrug im Durchschnitt 7,6 Jahre.“

Die Heidistuben im Gasthof Wohlfahrt waren zu den Meetings nun regelmäßig überfüllt, auch wenn der Clubpräsident beim Vortragen der neuen Regularien stets ein etwas ungutes Gefühl hatte. Als sich plötzlich der Governor zu einem außerplanmäßigen Besuch ankündigte, sagte der Präsident zu Lukas Odermatt: „Aber diesmal nehmen wir die Normalversion.“

So durfte Hans Ackermann über die neuentdeckten romanischen Fresken im Dom zu Redliwil referieren, und brav spulte der Clubpräsident die gewöhnlichen Regularien ab.

Beim Mittagessen berichtete der Governor dem Clubpräsidenten neben ihm von einer originellen Eröffnung, die er kürzlich beim Club Limmattal erlebt hatte: Clubpräsident Mario bittet dort seine Mitglieder jedes Mal zuerst um irgendein Stichwort, zu dem er dann humorvoll-lebendig kurz aus seinem Leben erzählt, zum  Beispiel zum Wort „Schulschatz“, das Fritz als letztes Gründungsmitglied spassig vorgeschlagen hatte. Mario nahm es auf und erzählte dann, wie er nach dem Wechsel in eine Schule mit Mädchen seinen Schatz bis zur Matura gefunden hatte. Auf eine solche Eröffnung reagiert der Club Limmattal mit Begeisterung.

Trotzdem wirkte der Governor jetzt irgendwie enttäuscht. Halblaut meinte er zu Georges Bräker: „Der Fresko-Vortrag war ja brillant, aber eigentlich kam ich, um Näheres über den Führerschein zu erfahren. Wo kriegt man diesen Schein in Albanien?“

86. Der Club Med

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Ursprünglich sollten im RC Redliwil aus jeder Berufsgruppe nur ein Vertreter Mitglied sein. Später hat Rotary International diese Begrenzung gelockert. Daraus hatte sich jedoch im Lauf der Jahre eine gewisse Schieflage ergeben, wie Präsident Bräker im Gespräch mit Fritz Abderhalden, der grauen Eminenz des Clubs, meinte. „Wo ich bei den Meetings auch hinschaue, sitzt ein Jurist.“ Abderhalden nickte: „Aber die stören nicht weiter. Die wachen nur einmal jährlich bei der Mitgliederversammlung auf, wenn es um Satzungsfragen geht. Mehr Sorgen machen mir die vielen Banker.“ Weiterlesen

85. Der Dickbrettbohrer

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Es geschah an einem Mittwoch gegen 12.29 Uhr: Mit einem hässlichem Knirschen knickte beim Präsidententisch ein Bein weg. Der Tisch samt Glocke geriet in Schräglage, was für eine Bescherung! Präsident Georges Bräker sah sich hilfesuchend in den Heidistuben um – einige Freunde eilten nach vorn. Doch sie alle, ob Verwaltungsratsvorsitzender, Regierungsrat, Global Digital Member oder Altphilologe – sie alle hatten keine Ahnung, was man machen sollte, um diesen Tisch zu flicken.

“Ich habe es schon oft gesagt”, erklärte der Clubpräsident, “wir brauchen in unserem Club auch Handwerker!” Der Wirt des Gasthofs Wohlfahrt wusste schliesslich Rat:
” Vorne in der Gaststube sitzt gerade Ernst Bluntschli.”
“Wer ist Bluntschli?”
“Ein sehr tüchtiger Handwerker, er führt eine gute Schreinerei hier in Redliwil.”

Und dieser Schreiner rettete das ganze Meeting. Er schaute kurz, was geschehen war, ergriff das Tischbein, ruckelte hier, ruckelte da, und der Tisch stand wieder richtig da.

Präsident Bräcker war begeistert. An der nächsten Vorstandssitzung meinte er: “Dieser Bluntschli, der wäre doch einer für uns. Unseren Club Redliwil kennt er ja schon ganz gut. Dann wäre endlich auch diese Berufsgruppe bei uns vertreten.”
Kassier Hans Tgetgel pflichtete ihm bei. “Wir sind viel zu kopflastig. Wir brauchen Handwerker und Techniker, wir brauchen Landwirte – also Leute, die eigentlich den Laden am Laufen halten.”
Gewisse Bedenken hatte der Clubintellektuelle Prof. Dr. Kurt Wolfensberger, der als Akademiker streng auf das Niveau der Vorträge achtete: “Bald werden wir etwas über Dübel und Leim hören, nun ja!”

Ernst Bluntschli wurde in den Club aufgenommen und fügte sich prächtig ein. Er war ein netter Mensch, zudem brachte er nach und nach auch viele rotarische Haushalte in Ordnung.
Einige Monate später schritt der Schreinermeister Bluntschli zu seinem Klassifi-kationsvortrag ans Rednerpult. Er sprach weder über Dübel noch Leim. Vielmehr präsentierte er diverse Bohrer und eine dicke Hartholzplatte. Während er diese Platte bearbeitete, plauderte er elegant und fachmännisch über das richtige Bohren als Kunst und Erkenntnisprozess. Und zitierte Max Weber: ” Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass zugleich”.
Und lässig schob der Schreiner nach: “Für die, die es nicht wissen, noch eine Erklärung: Max Weber war einer der Väter der modernen Kultur und Sozial-wissenschaften.”
Prof. Dr. Wolfenberger war zuerst überrascht und dann begeistert: “Endlich mal kein Dünnbrettbohrer wie so oft an meiner Hochschule!”

84. Die schwarzbäuchige Taufliege

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Rotarier Ruedi Knöpfli war neu im RC Redliwil und hatte schlaflose Nächte. Ein schlimmer Termin rückte näher und näher: sein erster Vortrag. Ruedi Knöpfli, von Haus aus Biologe, war ein hochkarätiger Fachmann in Sachen Drosophila, einer Gattung aus der Familie der Taufliegen. Aber er war schrecklich schüchtern, bei jeder Rede vor mehr als zwei Leuten geriet er ins Schwitzen und Stammeln.

Im RC Redliwil bewunderte er all die Eloquenten, die so souverän in freier Rede das rotarische Publikum in ihren Bann zogen. Und er beschloss, sich in seinem Erstvortrag nur auf sicherem Grund zu bewegen. In der Rede sollte daher die Drosophila einen breiten Raum einnehmen, wobei er mit seinen Kenntnissen bezüglich der schwarzbäuchigen Taufliege (Drosophila melanogaster) besonders beeindrucken wollte.

Er vertiefte sich zuvor auch in Rhetorik-Ratgeber und merkte sich einen Spruch von Peter Ustinov: “Eine Rede sollte einen brillanten Anfang und einen brillanten Schluss haben – sowie möglichst wenig dazwischen.” Ausserdem studierte er ausgesuchte Auftritte berühmter Redner.

Ruedi Knöpfli lernte wie der grosse Cicero seine Rede auswendig und als der wichtige Tag kam, stapfte er in den Heidistuben beklommen nach vorne. Er sah zum Buffet hinüber, das es nach dem Vortrag geben sollte und wünschte sich, es wäre schon so weit.

Doch der Start gelang ihm recht flüssig. Er sprach klar, frei und war über sich selbst erstaunt. Aber als er schwungvoll den Uebergang zur schwarzbäuchigen Taufliege nehmen wollte, setzte plötzlich sein Gehirn aus. Nichts kam mehr, rein nichts – er hatte nicht nur einen Hänger, er hatte komplett seinen Faden verloren. Keine Panik, sagte er sich und griff nach dem Zettel mit den Stichworten der Rede, die er sich für diesen “Worst Case” ins Jackeninnere gestopft hatte.

Das Papier, das er zutage förderte, war aber leider nur der letzte Einkaufszettel seiner Frau für den Supermarkt: ” Zwei Kalbsschnitzel, ganz dünn, ein Kilo Pfirsiche, ein Bio-Brot und einmal Persil, aber nur das Original.”

Die Katastrophe war komplett, Knöpflis Gehirn begann zu kollabieren. Still litt das Auditorium mit ihm. Knöpflis Blick schweifte hektisch durch den Raum, erneut musterte er das Büffet. Er gab sich einen Ruck und verkündete: “Den brillanten Anfang hatten wir schon, den Mittelteil erspare ich und komme zum brillanten Schluss – das Buffet ist eröffnet.”

Grosses Aufatmen bei den Freunden im Saal, prasselnder Beifall.
Und alles war wieder gut.

83. Gute Vorsätze

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

„Im neuen Jahr wird alles besser“, verkündete Präsident Georges Bräker an einem trüben Novembertag im Vorstand. Alle nickten und frohgemut gründete man den GVA. Dieser Gute-Vorsätze-Ausschuss erarbeitete Leitlinien, die inskünftig jedes Clubmitglied als Merkblättchen im Portemonnaie mit sich zu tragen hatte.

Nur der erfahrungsreiche Ehrenpräsident Ernst Friedrich war skeptisch und zitierte Oscar Wilde: „Gute Vorsätze sind Schecks, auf eine Bank ausgestellt, bei der man kein Konto hat.“ Doch das tat der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch. Zu den guten Vorsätzen gehörten u.a.:

Wir folgen unserem Präsidenten durch dick und dünn

Wir denken schon beim Erwachen an die nächste Präsenz

Wir haben uns alle lieb

Wir halten gerne Vorträge, aber kurz und knackig

Wir sind alle da, wenn Freiwillige gesucht werden

Wir verdoppeln unsere Spenden

Wir unterstützen die Projekte ROKJ und Polio Plus

Wir wechseln bei Tisch gerne die Plätze

Wir bestellen halbe Portionen und spenden die Differenz in die Projektkasse

Wir meckern nicht über das Essen

Wir machen Rotary überall positiv bekannt

Wir schalten bei Meetings das Smartphone aus.

In der Vorweihnachtszeit ging ein Ruck durch den RC Redliwil. Zu jedem Meeting waren die Heidistuben überfüllt, alle umarmten sich, Clubmeister Anton Hofer konnte sich vor Angeboten kaum retten, bei jedem Projekt standen die Freiwilligen Schlange, Kassier Armin Geldmacher wurden bündelweise Geldnoten in die Taschen gesteckt…

Der Clubpräsident war in Hochstimmung: „Ich sehe nur noch Lichtgestalten.“ Doch so gegen Ende Januar verflüchtigte sich der Elan. Georges Bräker verfiel in den Standardseufzer seines Clubs Redliwil: „Wir wollten das Beste, aber es wurde wie immer.“

Ehrenpräsident Friedrich kramte einen vergilbten Zettel aus seinem Geldbeutel und zeigte ihn dem Präsidenten: „Schau mal, das sind die guten Vorsätze, die wir in meinem Präsidentenjahr 1969 formuliert haben!“

Georges war erstaunt: „Das sind ja unsere heutigen Leitsätze!“

„Stimmt, mit Ausnahme des Smartphones.“

82. Die freie Rede

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

„Schweizer Chancen in Europa“ – ja, das ist ein schöner Titel für meinen nächsten Vortrag in unserem Club Redliwil, dachte sich Präsident Bräker zuhause in seinem Arbeitszimmer. Da kam sein achtjähriger Enkel Florian herein und schaute fragend auf den mit Papieren beladenen Schreibtisch:
„Was ist das?
„Das sind Unterlagen für meinen Vortrag.”
„Ach, Du gehst wieder zu den Rotierern? Wie machst Du Deinen Vortrag?“

„Ganz einfach. Ich überlege mir das Thema, entwerfe eine Gliederung, notiere ein paar Stichworte, übe das Ganze laut vor dem Spiegel und rede dann frei mit Video-aufnahme.“

Florian schüttelte den Kopf:  „Das ist zu wenig cool: Ich weiß etwas viel Besseres

Und der Enkel  Florian erklärte seinem Grossvater, dass beim Vortragen heute eine moderne Technik üblich sei: „Du musst computergestützt präsentieren. Arbeite mit Beamer und Leinwand, da kannst Du Bilder einspielen, das wäre doch megageil.“

Der Clubpräsident und Grossvater Georges Bräker fand den Ausdruck „megageil“ zwar etwas unpassend, aber erwärmte sich rasch für die Idee seines Enkels. Florian schleppte gleich die entsprechende Technik herbei und sagte: „Auf dem Rechner sind noch ein paar alte Sachen, das stört nicht. Ansonsten hast Du alles mit AC-3-Unterstützung, DivX-kompatibel, mit 6-Knopf-VHS, Q-Link und Show View.“

Aha!”
Er übte mit Florian ein paar Stunden, dann saßen alle Griffe.

Am Tag des Vortrags war der Präsident früh im Gasthof Wohlfahrt, in der Heidiland-Stube baute er die Leinwand auf, fuhr den Rechner hoch, schloss den Beamer an.
Es war alles da, auch Megatext, New Black Stripe Screen, Virtual Dolby und Bluetooth-Technologie. Alles in Ordnung.
„Wenn irgendwas klemmt, einfach F1 drücken“, hatte ihm der Enkel beim Weggehen noch geraten.

Der Vortrag ließ sich gut an. Die Gründerväter Europas, Schumann und de Gasperi, flimmerten in Schwarzweiß über die Leinwand, dann kam der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer beim Bocciaspielen. Doch just, als Bräker den Rütlischwur in Gestalt eines zeitgenössischen Gemäldes zeigen wollte, blieb das Bild plötzlich stehen. Außerdem ging das Licht aus.

Bräker drückte „F1“und sah, wie er selbst über die Leinwand watschelte, in der Badehose, ziemlich unvorteilhaft und sogar peinlich. Das war der Urlaubsfilm von 1997 „Schöne Tage in Brissago“.

Die Zuhörer kicherten. Bräker drückte erneut „F1“ und der Science Fiction-Film „Kampfstern Galactica“ donnerte durch die Heidiland-Stube. „Noch besser als Adenauer!“, rief ein rotarischer Freund in die Dunkelheit.

Bräker geriet in Panik. Er riss alle Stecker heraus. Leise gurgelnd soff der Rechner ab, der Beamer kollabierte krächzend. Ein trauriges „Oooh“ ging durch die Reihen

Stille.

Der Moment, in dem sich ein Mann als Mann erweisen muss. Bräker straffte den Rücken und verkündete: „Nun gut, dann spreche ich halt frei.“