39. Geschichte 3 aus dem Leben: Nur ein paar Sachen – Das Einkaufen und ich – ein Alptraum

Verfasser: Heinz Anderegg

Denkt an Varus, den römischen Statthalter und Oberbefehlshaber in Germanien. Er mag ein netter Mann gewesen sein, ein zärtlicher Ehemann, gütiger Vater und Freund der schönen Künste. Aber warum ist er noch heute ein Begriff? Genau. Seine Niederlage im Teutoburger Wald. Oder sehen wir uns Napoleon an. Was ist ihm geblieben? Eben: Waterloo!!

Nehmen wir jetzt zur Abwechslung einmal mich. So, wie es gegenwärtig aussieht, werden es vor allem meine samstäglichen Besuche auf dem Wochenmarkt sein, die mir einen unvergänglichen Platz in der Familiengeschichte garantieren.

Wenn man der Frau glaubt, die ich liebe, ist jeder von ihnen ein Fiasko, das den Verlust der römischen Legionen wie ein Missgeschick und das kaiserliche Debakel wie einen Karriereknick aussehen lässt. Selbst das fatale Tor von Wembley schrumpft gegen meine schicksalhaften Einkäufe von Kraut und Blumen zur Episode.

Normalerweise beginnt das Verhängnis für mich damit, dass uns unser Kühlschrank leer entgegengähnt und die Vorräte in unserem Keller drastisch gesunken sind. Angesichts der Gefahr einer familiären Hungersnot wird daraufhin in morgendlicher Krisenrunde ein Einkaufszettel zusammengestellt, der uns durch seine Länge zu Schnelligkeit und entschlossenem Handeln zwingt. „Also ich könnte mich um Milch, Butter, Brot und so kümmern, du brauchst dann nur ein paar Sachen vom Markt zu holen. Danach könnten wir uns im Café treffen.“

Das mit dem Treffen geht schon in Ordnung. Die Schwierigkeiten stecken im Satz davor. Nur noch ein paar Sachen. Dass ich nicht lache: Einen Hexenschuss werde ich mir holen mit den ökologisch ach so korrekten Einkaufskörben, die das Design ausgeblichener Strandmatten mit der Handlichkeit eines halbierten Öltanks vereinen.

Und dann: vom Markt. Hundertschaften sturmfester und der Scholl verbundener Gärtner, Gemüsehändler und Kleinbauern warten doch dort nur darauf, mir kurz vor Kassenschluss noch ihre vertrockneten Blumen, verschrumpelten Kohlköpfe und überalterten Freilandeier anzudrehen. Mit dem Stadtmenschen, dessen Kochkünste über Kaffee, Tee und heisse Milch nur unwesentlich hinausgehen. Und auf den zu Hause eine Frau wartet, die sich mit Handelsklassen und Herkunftszeichen auskennt, als wären sie ihre eigene Erfahrung.

Doch alles Jammern hilft nichts. „Ich habe dir hier alles aufgeschrieben, was wir brauchen. Und nimm unseren Sohn mit, der kann sich um die Blumen kümmern. Am besten ein bunter Sommerstrauss von dem Stand ganz hinten links, du weisst schon.“ Ich weiss schon. Natürlich. Das letzte Mal war es ein Strauss gelber Tulpen, die schon beim Auswickeln in unserer Küche so aussahen, als hätten sie statt 1000 Meter Luftlinie eine mehrwöchige Saharadurchquerung hinter sich. Ungeschützt und ohne Wasser. Eine Pleite erster Ordnung. Gift fürs männliche Omnipotenzgefühl. Aber hat mich deswegen jemand bemitleidet? Nix da. Keine liebevolle Hand, die mir tröstend durch die Haare fährt. Statt dessen ein halblautes Gemurmel von Kompost statt Vase, das niemandem weiterhilft. Und was sind schon Blumen gegen Suppengrün, Broccoli oder Blumenkohl? Die Auswahl an Grünzeug ist atemberaubend, und in den Augen eines unbedarften Laien wie mir sieht eine Gurke aus wie die andere. So hilflos habe ich mich nicht mehr gefühlt, seit die Mengenlehre im Mathematikunterricht eingeführt wurde.

Ein jovialer Landmann mit Unterarmen wie Popeye hält mir einen saftigen Vitaminprügel entgegen: „Nehmen sie doch diese!“ Sensibel prüfend greife ich zu: Sind die Gurken nun gut, wenn sie hart sind? Oder war das die Regel für Melonen? An meinem Arm zieht jemand, als wäre er ein Glockenseil. Ich drehe den Kopf nach unten und blicke in besorgte Kinderaugen:
„Mama hat gesagt, du sollst nicht wieder so eine alte mitbringen wie letzte Woche!“ Jetzt nur keine Schwäche zeigen! Ein Angehöriger des Geschlechtes, das schliesslich schon seinen Fuss auf den Mond gesetzt hat, wird mit einem wässrigen Gemüse doch allemal fertig!

Ohne übertriebene Eile ziehe ich mein Portemonnaie und zahle. Die Gurke verschwindet mit gekonnter Beiläufigkeit in meinem Korb: Schlimmstenfalls haben wir jetzt eine Gesichtsmaske erworben. Zwei Stände weiter: neue Angebote, mein nächster Einkauf. Unter diesen Sonnenschirmen erwarte ich keine Probleme, schliesslich steht das Gewünschte gross und eindeutig auf meinem Zettel: SALAT! „Welchen hätten Sie denn gern? Lollo rosso, Radicchio oder Rucola?“ Ja, sind wir denn hier in einer Blattzeug-Boutique? Lollo rosso, Radicchio – oder was?

Die Frauen neben mir werden langsam unruhig. Früher hats das nicht gegeben: Salat war eben Salat. Und wir haben schliesslich auch keinen Skorbut bekommen. Jetzt nicht mehr lange überlegen. Wir sind doch keine Kaninchen. „Also, ich nehm diesen hier.“ Ich greife entschieden in eine Kiste und reiche der buntgeschürzten Frau dahinter einen saftig-kraftvollen Kopf über den Tisch. Es ist ein Wirsing. Bin ich etwa Biologielehrer? Das reicht. Das war’s. Genug der Demütigungen.

Von wegen. Als ich später auf dem heimischen Küchentisch meine Schätze aus dem Korb hole, findet kein einziger von ihnen Gnade vor den Augen der Hausfrau. Die Küchenkräuter sind welk, die Kartoffeln festkochend statt mehlig und der Blumenkohl ist braun und viel zu klein für eine fünfköpfige Familie.

Als Sklave hätte man mich ausgepeitscht. Oder beim nächsten Sommerausverkauf mit Verlust an einen Galeerenkapitän verhökert. Zum Glück bin ich nur Ehemann. Und der bekommt jeden Samstag eine neue Chance. Bis er es lernt. Varus hätte mich darum beneidet.

 

 

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