44. Die rotarische Zeitrechnung

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Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Das ehrgeizige Projekt des RC Redliwil, gemeinsam mit dem RC Vorderamlikon ein Jugendcamp zu organisieren, zog sich ins fünfte Jahr. Clubmeister Anton Hofer, der damit betraut war, klagte: „Wir sind immer noch nicht über die erste Planungsphase hinausgekommen.“ Präsident Bräker seufzte: „Das ist die rotarische Zeitrechnung. Sie bemisst sich nach Äonen, nicht nach Jahren.“
Hofer wollte nicht weiter warten und gab sein Amt erschöpft auf.

Ein Nachfolger war nicht in Sicht. Bräker dachte in einem Meeting angestrengt über Ersatz nach, als Rotarier Heiner Bessernich zu seinem Vortrag an das Rednerpult schritt. Die Vorträge des Geologen waren ob ihrer Länge gefürchtet, einige Freunde hatten vorsorglich Liegestühle und Schlummerkissen mitgebracht.

Dr. Heiner Bessernich war Privatdozent an der Hochschule Redliwil und ein Mann der Umsicht. Er pflegte das Lebensmotto GDW: „Gut Ding will Weile haben“. Den aktuellen Vortrag hatte er vor drei Jahren angekündigt und dann mit der Quellenforschung begonnen.
Er beriet sich mit seinem greisen Doktorvater, die Gattin las 23mal Korrektur, für den letzten Schliff verbrauchte er ein komplettes, vorlesungsfreies Semester.

Zuhause hielt er den Vortrag dreimal vor der Gattin und Frau Moser, seiner Haushalthilfe. Die Damen fanden seine Leistung in Mimik und Rhetorik zufriedenstellend. Um wirklich fit zu sein für den Vortrag, machte er eine dreiwöchige Kur in Bad Ragaz. Und nun war er bereit, sich dem Auditorium zu stellen.

Privatdozent Bessernich sollte es nicht enttäuschen. Diesmal beschäftigte er sich mit dem Präkambrium, der Erdfrühzeit. Mit leiernder Stimme führte er die Zuhörer von der Entstehung der Erde vor rund 4,56 Milliarden Jahren bis zum ersten Auftreten der Tierwelt vor circa 540 Millionen Jahren. Eine Ahnung von Ewigkeit durchwehte die Heidiland-Stube, die Zuhörer spürten den zeitlosen Atem des Kosmos. In den Gläsern auf den Tischen verdunsteten die Getränke, selbst die alte Standuhr am Eingang zur Küche schien langsamer zu ticken.

Zum Schluss seines etwa zweieinhalbstündigen Referats verkündete Dr. Bessernich den Wachgebliebenen: „Liebe Freunde, hunderttausend Jahre sind nichts, nur ein Lidschlag in der Erdgeschichte.“

Anton Hofer weckte Präsident Bräker und flüsterte: „Nimm doch den Heiner als Clubmeister. Der zieht das mit dem Jugendcamp in einer Woche durch.“

Kommentar von Rot. Heinz Anderegg, RC  Winterthur:
“Hab mich schon lange nicht mehr beim Lesen einer Rotarygeschichte so amüsiert. Bravo!

 

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