67. “Jedes Ding hat seine Zeit.”

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Wie es sich gehörte, war im RC Redliwil allerhand Prominenz versammelt. Stolz verkündete Präsident Georges Bräker während der Hauptversammlung des Clubs im Gasthof Wohlfahrt: „Wir haben bei uns die Crème de la crème.“ Doch Clubsekretär Hans Tgetgel murrte: „Was haben wir von der Crème, wenn sie sich nie sehen und drum nie geniessen lässt?“

In der Tat ließ die Präsenz einiger Promirotarier sehr zu wünschen übrig. In den Medien tauchten sie regelmässig auf (natürlich mit Rotary-Nadel im Revers), aber nicht im Gasthof Wohlfahrt. Einer davon war Rotarier Otto Zwingli, ein erfolgreicher Unternehmer und der größte Arbeitgeber von Redliwil. Bei ihm weiss man nicht genau, ob er vom grossen Reformator Huldrych abstammt, und ist deshalb im Umgang mit ihm etwas vorsichtig. Der andere war Rotarier Mario Klotz, der Intendant des Stadttheaters Redliwil, ein Liebling der Feuilletons.
„Die beiden haben unendlich viel zu tun, da müssen wir vom Club aus tolerant sein“, beschwichtigte der Clubpräsident seinen Freund Hans Tgetgel. Doch dieser fuhr fort: „Offenbar stehen die beiden unter Artenschutz.“
Doch die Laune von Hans wurde nicht besser, als ihm hinterbracht wurde, was die beiden Promirotarier so trieben, wenn Meeting war. „Weisst Du, was Otto letzte Mittwoch gemacht hat, als wir Meeting hatten?“ fragte er den Präsidenten.
„Sicher hatte er eine anstrengende Verwaltungsratssitzung.“
„Nein, er hat ein Mittagsschläfchen in seinem Büro gemacht.“
Nun war Georges Bräker etwas besorgt: „Und hast Du etwas von Mario Klotz gehört?“
„Nun, er hat am letzten Mittwoch heimlich die österreichischen Sissi-Filme von 1955 geguckt, ebenfalls in seinem Büro und zwar alle drei Folgen hintereinander.“
Der Clubpräsident gab sich jetzt einen Ruck: „Gut, wenn die beiden nicht zu uns kommen, dann gehen wir halt zu ihnen.“
Georges Bräker hatte einen guten Kontakt mit dem Souffleur des Stadttheaters. Als dort die „Komödie der Irrungen II (Antipholus)“ von Shakespeare Premiere hatte, kam auch der berühmte Satz vor: „Jedes Ding hat seine Zeit.“
An dieser Stelle ergänzte Souffleur ziemlich laut: „…zum Beispiel das rotarische Meeting, jeden Mittwoch um 13 Uhr in den Heidistuben.“
Die Neue Zürcher Zeitung rätselte über diese „Neuinterpretation von Shakespeare“, aber Mario Klotz hatte sie gut verstanden. Beim nächsten Mal war er pünktlich da, und Georges Bräker plauderte angeregt mit ihm über die Chancen für eine vierte Folge dieser Sissi-Reihe.
Otto Zwingli ging dagegen nie ins Theater. An einem Mittwoch um 13 Uhr suchte ihn der Clubpräsident persönlich in der Firma auf, um ihn an eine Großspende zu erinnern. Eine Woche darauf, wieder um 13 Uhr, brachte Kassier Armin Geldmacher seinem Clubfreund Otto ein Exemplar der Clubsatzung vorbei. So ging es Woche für Woche, bis Zwingli entnervt aufgab. An einem weiteren Mittwoch war er in den Heidistuben anwesend.
Der Präsident freute sich, meinte aber während des Meetings zum Clubsekretär neben ihm: „Schau mal zu Otto hinüber: der schläft schon wieder!“
Hans Tgetgel entgegnete mild:“ Das macht nichts. Hauptsache: er tut es bei uns.“

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