60. Der Nichtloslasser


Cartoon von Jals Smolinski

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Als Präsident Georges Bräker einmal fünf Minuten zu spät zur Vorstandssitzung des RC Redliwil in den Gasthof Wohlfahrt kam, begrüßte ihn Pastpräsident Daniel Bünzli nachsichtig: „Schön, dass Du auch noch Zeit für uns gefunden hast!“.

Der Präsident musste gar nicht mehr viel tun, denn sein Vorgänger war mit seinem gewohnten Temperament schon daran gegangen, die Traktandenliste zu erledigen.

Einerseits freute sich Georges über die ungebrochene rotarische Vitalität seines Vorgängers, anderseits war ihm das schon ein wenig unheimlich. Daniel war immer präsent, immer einsatzbereit. Beruflich hatte er als Verwaltungsratsvorsitzender einen Konzern geleitet, bevor er vor 20 Jahren altersbedingt ausscheiden musste. Daniel Bünzli wechselte anschliessend in den Aufsichtsrat, von wo aus er bis heute seine Nachfolger in die Zange nimmt.

„Er kann einfach nicht loslassen. Ohne Amt würde er eingehen wie eine Hortensie in der wasserlosen Wüste,“ hatte einmal die Ehefrau dem Präsidenten anvertraut. Der hatte Mühe, sich Daniel Bünzli als Hortensie vorzustellen.

Aber es war schon beeindruckend, wie er im Meeting die Glocke schwang, wenn der Präsident verhindert war. Etwas nervend waren allerdings seine heimlichen Vorstöße, ihm über gewisse Satzungsänderung ein lebenslanges Stimmrecht im Vorstand des RC Redliwil zu verschaffen. Und seufzend nahm Georges Bräker die „Denkschriften“ entgegen, die ihm Daniel allmonatlich zwecks „Optimierung der Abläufe im RC Redliwil“ zu schickte.

Der Präsident verzieh es ihm, denn sein Clubfreund nahm ihm wirklich viel Arbeit ab. So vertrat er ihn zum Beispiel würdig beim Boogie-Woogie-Wettbewerb der Redliwiler Landfrauen, bei der Ehrung der Erstbegeher der Redliwiler Spitze, bei der Überbringung von Glückwünschen für die Fußballer von Grashoppers Redliwil zum erfolgreichen Abstieg in die dritte Liga.

Dankbar war der Clubpräsident vor allem, wenn ein rotarischer Freund verstorben war. Dann war es Daniel Bünzli, der am Grab die passenden Worte fand.

Nach einem solchen Begräbnis fragte Georges seinen Clubfreund Daniel fast scherzhaft: „Darf ich auf Dich zählen, wenn meine Stunde schlägt?“
Daniel Bünzli strahlte erwartungsvoll: “Lieber Freund, mach Dir keine Sorgen, ich habe Deinen Nachruf schon fix und fertig.“

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