32. Die Nadel

Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber

Das Gespräch mit dem sperrigen Kunden in Vorderamlikon quälte sich dahin. Rotarier Otto Zwingli, der diesen Verkaufsabschluss dringend brauchte, resignierte. Nie wieder Vorderamlikon, dachte er. Doch eine Woche später unternahm er einen letzten Versuch. Er trug zufällig eine Jacke, an der die Rotary-Nadel im Revers steckte. Der Kunde erblickte die Nadel, holte strahlend die eigene aus dem Schreibtisch und Minuten später war der beste Abschluss des Quartals perfekt.

Danach hegte und pflegte Zwingli seine Nadel, er legte sich eine ganze Kollektion zu. Nebenbei studierte er die Nadelkultur in seinem Club Redliwil. Das war ein Kosmos für sich. An Bernhard Baumann sah die Nadel besonders perfekt aus, von ihm sagte man, er lasse sich seine Maßanzüge immer um die Nadel herum bauen. Fritz Albrecht trug nicht nur die Nadel, sondern hatte auch in der Heckablage seines Toyota neben der WC-Rolle und dem Wackelhund ein Rotary-Kissen platziert.

Übertroffen wurden alle von Beat Lüthi, dem Rundum-Rotarier. Jeden Morgen hisste er vor seinem Haus eine riesige Rotary-Flagge und grüßte sie andächtig. Dann fuhr er ins Büro, wie immer mit dem Rotary-Schirm, der Rotary-Aktentasche und dem Rotary-Füllfederhalter. Zum Abendessen versammelte er die Familie rund um den Rotary-Hauswimpel.

Es gab aber auch die Fraktion der Nichtnadelträger. Chefarzt Prof. Hürlimann erzählte dazu gerne Schreckensgeschichten aus seiner Ambulanz – lauter Notfallrotarier, die sich beim Anlegen der Nadel den Daumen durchstochen hatten. Auch Fritz Albrecht, der Clubexzentriker, trug demonstrativ keine Nadel. Er meinte frei nach St. Exupéry: „Das Herz sieht es schon, dass ich Rotarier bin.“

Als Otto Zwingli an einem Meeting die Geschichte aus Vorderamlikon erzählte, bekam Past Präsident Daniel Bünzli, der führende Bäcker von Redliwil, große Ohren – auch er war ein Nichtnadelträger. Seine Chäs-Chüechli verkauften sich nur schleppend. Also stand er fortan mit der Nadel im weißen Kittel hinter dem Ladentisch. Doch nach einigen Wochen schloss er sich wieder den Nichtnadelträgern an.

Gegenüber Otto Zwingli meinte er etwas vorwurfsvoll: „Meine Chäs-Chüechli liegen immer noch wie Blei im Regal.”

Ein Gedanke zu „32. Die Nadel

  1. Endlch Satire im Rotary. Bravo.
    Ich kann Ihnen einen Kontaktclub empfehlen, den Club “Paris-Bidon”.
    Ich habe diesen in den 80er-Jahren erfunden, um die Präsenzstatistik der Clubs zu schönen. Man kann eine teure Mobilnummer anrufen, um eine Präsenzkarte von Paris-Bidon (“Bidon” = auf Deutsch nicht vorhamden, gefälscht) zu bestellen und die Präsenz dem Heimklub zu präsentieren.
    Das eingeommene Geld wäre einer Rotary-Stiftung , z.B. Minex überwiesen worden. Leider hat mein Club meine damlige Idee als nicht rotarisch-serioes genug abgelehnt.
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