Cartoon von Jals Smolinski
Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber
Ein wichtiges Gremium im RC Redliwil war der Aufnahmeausschuss. Er hatte die Kandidatinnen und Kandidaten für die Mitgliedschaft einer gründlichen Begutachtung zu unterziehen, um dem Club eine Aufnahme zu empfehlen oder eben nicht.
Mitglieder, die Vorschläge unterbreiten, übernehmen das wichtige Amt als Götti oder Gotte neuer Clubmitglieder. Bei seiner Aufnahmepolitik hielt der Ausschuss lange eisern an der Maxime „Qualität statt Quantität!“ fest. Seine Anhörungen waren gefürchtet, wer dort bestand, konnte sich zur Elite zählen.
Doch das war jetzt Geschichte.
Rotarier Rolf Huwyler, der Vorsitzende des Aufnahmeausschusses (kurz „Huwy“ genannt), klagte Präsident Bräker: „Lieber Georges, der Markt in unserer Region scheint leergefegt, wir müssen immer weiter zurück beim Niveau. Wenn das so weitergeht, reicht für Kandidaten irgendwann bloss der Besitz eines gültigen Führerscheins.“
Bisher hatte der Club jahrelang die Vorschriften von Rotary International respektiert, dass man sich im Prinzip bei Rotary nicht bewerben könne – geeignete neue Mitglieder gelte es im Bekanntenkreis zu finden und vorzuschlagen. Auch war bekannt, dass sich amerikanische Clubs über Inserate bekannt machen…
Versuchsweise begann der Club Redliwil, Listen möglicher Kandidatinnen und Kandi-daten zu erstellen.
Immerhin sah diese Liste bei der nächsten Sitzung ganz passabel aus. Eine Chefärztin und ein Chefarzt standen zur Auswahl, die Meinungsbildung wogte hin und her. Einige neigten der Dame zu, andere dem Herrn und zwar mit dem Argument, dass seine Klinik 24 Betten mehr habe. Es kam zu keiner Einigung, dafür wählte man als Kompromiss-kandidaten einen Heilpraktiker, auch wenn der nur ein einziges Bett zu betreuen hatte.
Bei der nächsten Sitzung musste Huwy aber feststellen: “Wir haben keinen einzigen Bewerber mehr. Was sollen wir jetzt tun?“
Rotarier Kurt Schläppi, einer aus der jungen Generation, schlug vor: „Wir bieten ein Speed Dating an. Das machen heute Start Up-Firmen, um sich Investoren vorzustellen. Wenn wir das publik machen, kommen sicher viele Interessenten.“
So geschah es. Nach einem entsprechenden Aufruf in der NRZ, der Neuesten Redwiler Zeitung, und im Internet drängten sich die Bewerber im Gasthof Wohlfahrt. An den Tischen ihnen gegenüber saßen die Rotarier, jeder Kandidat hatte drei Minuten Zeit, sich vorzustellen.
Die drei Minuten reichten völlig, um Huwy in tiefes Trübsal versinken zu lassen. An seinem Tisch hatten einzelne Kandidaten zur Frage, weshalb sie zu Rotary wollten, erklärt:
„Ich will wichtige Leute kennenlernen.“
„Ich suche eine neue Vertriebsschiene für meine Wellness-Produkte.“
„Zuhause hört mir keiner zu.“
Und so kehrte der Aufnahmeausschuss zum alten Verfahren zurück. Als nächster Kandidat erschien ein junger Biochemiker namens Bernhard Baumann, dem den Unterlagen zufolge eine glänzende akademische Karriere winkte. Er erschien pünktlich zur Vorstellung, allerdings in Begleitung seiner Eltern.
„Helikoptereltern“, dachte Huwy entsetzt.
Der Kandidat kam nicht zu Wort, seine Vorstellung übernahm Mutter Baumann. Gegen Ende versuchte der Sohn, den Redefluss der Mutter zu unterbrechen – sie fuhr ihn scharf an: „Berni, bitte lass mich jetzt machen – es ist wichtig für Dich!“
Er krümmte sich und flüsterte: “Aber Mama…“
Als die Eltern mit ihrem Zögling gegangen waren, meinte Huwy: „ich finde, Herr Baumann hat Charakter gezeigt. Er hat der Mutter immerhin einmal widersprochen.
Wir sollten ihn nehmen.“